Mit einem geschwächten Immunsystem können an sich harmlose Krankheiten zum Problem werden – das ist aus der Medizin schon lange bekannt. Gilt das auch für Wälder, insbesondere für tropische Regenwälder? Gibt es einen Punkt, an dem kleine ökologische Ungleichgewichte reichen, um einen Wald sterben zu lassen? Dem sind die Statistiker Prof. Achim Zeileis und Dr. Nikolaus Umlauf gemeinsam mit Biologen und Remote-Sensing-Spezialisten aus den Niederlanden und Brasilien nachgegangen, ihre Ergebnisse haben sie kürzlich in einem Paper im renommierten Journal Nature Climate Change vorgestellt. „Wir können anhand von Satellitenbildern zeigen, dass es auch bei tropischen Regenwäldern einen Punkt gibt, an dem der Wald derart geschwächt ist, dass Kleinigkeiten reichen, um ihn nachhaltig zu beschädigen oder gar sterben zu lassen und können das auch automatisch berechnen“, sagt Nikolaus Umlauf.
Satellitenbilder
Die Berechnung der Vegetationsdichte beruht auf dem NDVI (Normalized Differenced Vegetation Index), einem Standard, anhand dessen die weltweite Walddichte auf Basis von Satellitenbildern schon seit mehreren Jahrzehnten berechnet wird. „Nun ist es normal, dass sich tropische Wälder im Jahresverlauf verändern – in den Tropen gibt es zwar keine klassischen Jahreszeiten, aber trockene und regenreiche Perioden haben natürlich Auswirkungen auf die Vegetation“, sagt Achim Zeileis. Gesunde Wälder erholen sich allerdings sehr rasch wieder – etwas, was auch auf Satellitenbildern im Zeitverlauf sichtbar wird.
Das sogenannte „critical slowing down“-Phänomen ist aus anderen Disziplinen länger bekannt und bezeichnet einen Punkt, an dem selbst kleinere Abweichungen vom Ist-Zustands zu einer dauerhaften Veränderung führen können. „Eine brauchbare Analogie ist die eines Patienten mit geschwächtem Immunsystem: Ein Virus, mit dem sein Körper im Normalzustand relativ einfach fertig wird, kann in diesem Zustand sogar zum Tod führen“, erklärt Nikolaus Umlauf. „Slowing down“, also die Verlangsamung, beschreibt dabei die Zeit, die ein Organismus benötigt, um den Normalzustand wieder zu erreichen. Ähnlich lässt sich das auch auf Wälder umlegen: Wie lange braucht ein Wald, um sich von einer Dürreperiode zu erholen? Der Vergleich von Satellitenbildern erlaubt darüber genaue Aussagen.
Autokorrelation
Der Wert, der die Statistiker hier besonders interessiert, ist die sogenannte Autokorrelation: Wie sehr stimmen Satellitenfotos derselben Regenwald-Gebiete über den Zeitverlauf überein? Je weniger sich auf den Bildern ändert, desto höher ist die Autokorrelation, desto länger dauern Erholungsphasen für den Wald. „Wir können so Gebiete identifizieren, die gefährdet sind und die näher untersucht werden müssen, um Waldsterben zu verhindern“, sagt Achim Zeileis. Die Berechnung ist dabei keineswegs trivial: Die Statistiker haben Satellitenbilder tropischer Wälder in Afrika, Asien und Südamerika von 2000 bis 2012 ausgewertet und verglichen. Um brauchbare Daten zu liefern, müssen die Rechenmodelle in der Lage sein, Störungen in den Bildern, etwa ebenfalls sichtbare Wolken, herauszurechnen und normale saisonale Schwankungen zu berücksichtigen. Außerdem ist die Menge der Daten, die verarbeitet werden müssen, eine größere Herausforderung.
Das Modell der Innsbrucker Statistiker erlaubt es nun, diese Berechnungen automatisiert durchzuführen – ein großer Schritt nach vorne für die Forschung: „Stark vereinfacht ausgedrückt können unsere Modelle sagen, ob und welche Abschnitte von Wäldern gefährdet sind, wenn wir sie mit Satellitendaten dieser Wälder füttern“, erläutert Nikolaus Umlauf. Biologen können sich dann so identifizierte Waldabschnitte im Feld genauer ansehen.