Woher kommt Sprache? Welche Wortformen gibt es, welche Funktionen erfüllen sie? Fragen wie diese treiben Sprachwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler seit Jahrhunderten um. Sandra Birzer ist keine Ausnahme: Sie ist seit März 2016 Professorin für Slawische Sprachwissenschaft am Institut für Slawistik. „Sprachwissenschaft an sich ist natürlich ein sehr breites Feld, ganz unabhängig von konkreten Sprachen, an und mit denen man arbeitet. Ich interessiere mich unter anderem für die Korpuslinguistik – letztlich das Zugänglichmachen von Sprache, zum Beispiel durch Digitalisierung, aber auch für die Herkunftssprachen von Zuwanderern und wie diese sich im Sprachkontakt verändern“, erklärt die Slawistin.
Einfluss auf Herkunftssprachen
Wie sich die slawischen Sprachen bei Zuwanderern verändern, wenn sie längere Zeit in Österreich leben und mit dem Deutschen in Kontakt sind, ist ein Punkt, der die gebürtige Regensburgerin in ihrer Forschung interessiert: „Sprachkontakt als Forschungsfeld ist nicht neu, im konkreten Fall verrät uns das aber viel darüber, wie wir im Unterricht damit umgehen können. Viele Zuwanderer der zweiten Generation sprechen nämlich die Muttersprache ihrer Eltern sehr gut, können sie aber nur noch wenig schreiben und haben die Grammatik dem Deutschen angepasst. Es kommt öfter vor, dass sie später an der Uni ihr Sprachwissen auffrischen oder vertiefen wollen.“ So hat etwa Russisch bestimmte Satzpositionen für Zeit- und Ortsangaben, die sich vom Deutschen unterscheiden – im Kontakt mit dem Deutschen wandern diese Angaben allerdings an die Stelle, an der sie im Deutschen üblich sind. „Die Wendung ‚auf jemanden warten’ wäre im Russischen zum Beispiel korrekt wörtlich ‚jemanden (er-)warten’ – viele Russisch-Sprecher der zweiten Generation verwenden aber auch im Russischen die Wendung mit ‚auf’, die sie aus dem Deutschen kennen.“ Die größte slawischsprechende Zuwanderergruppe stammt aus Ex-Jugoslawien, die Forschung von Sprachkontakt zwischen Deutsch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (B/K/S, auch: Serbokroatisch) ist Sandra Birzer deshalb ein wichtiges Anliegen.
Jiddisch digital
Ein für eine Slawistin im ersten Moment überraschend wirkender weiterer Forschungsgegenstand von Sandra Birzer ist das Jiddische – in einem Drittmittelprojekt erstellt sie in Kooperation mit der Russischen Akademie der Wissenschaften ein Korpus des modernen Jiddischen. „Jiddisch ist eigentlich eine germanische Sprache, das moderne Ostjiddische wurde aber sehr stark von slawischen Sprachen, darunter Russisch, beeinflusst. Überspitzt kann man sagen: Wenn man eine germanische und eine slawische Sprache gut spricht, kann man vieles im Jiddischen relativ einfach verstehen und sich die Sprache rasch aneignen“, sagt sie. Das macht das Jiddische zu einem lohnenden Forschungsgegenstand sowohl in germanischen als auch slawischen Sprachwissenschaften – mit einem Haken: „Eine Hürde für viele Forscherinnen und Forscher ist die Tatsache, dass Jiddisch in hebräischer Schrift geschrieben wird. Dem wollen wir abhelfen.“ Im Projekt erfassen Birzer und ihre Partner jiddische Schriften nicht nur digital, sondern arbeiten auch an einer automatischen Transliteration in lateinische Zeichen. Zudem ist die Datenbank anhand morphologischer Parameter durchsuchbar: So ist etwa möglich, alle Belege des jiddischen Wortes für „gehen“ in allen möglichen Verbindungen und grammatikalischen Varianten durch Suchen zu ermitteln. Die meisten Quellen kommen vom „National Yiddish Book Center“ in den USA, finanziert wird das Projekt unter anderem von der Fritz-Thyssen-Stiftung.
Ein Projekt aus der Korpuslinguistik soll auch die Lehre an der Universität vereinfachen, erläutert Sandra Birzer: „Ich halte es für eminent wichtig, dass unsere Studierenden schon sehr früh lernen, mit Sprachdatenbanken umzugehen, Daten zu verarbeiten und zu sortieren und so Grundkenntnisse im Datenbankmanagement zu erwerben. In der Regel reichen aber gerade in der Slawistik in den frühen Semestern die Sprachkenntnisse dafür nicht aus, weil die meisten Studierenden Russisch oder andere slawische Sprachen erst an der Universität lernen.“ Gemeinsam mit einer Kollegin von der Universität Hamburg arbeitet die Linguistin nun an einem Russischkorpus, das nach Sprachniveaus geordnet werden kann und so auch Menschen mit Russisch-Basiskenntnissen ermöglicht, direkt mit russischen Quellen zu arbeiten.
Von Hamburg nach Innsbruck
Während sie ihre Habilitionsschrift zur historischen Entwicklung von diskursstrukturierenden Elementen in den slawischen Sprachen verfasste, die 2015 an der Universität Regensburg eingereicht wurde, wechselte Sandra Birzer nach einem Aufenthalt an der Universität Salzburg an die Uni Hamburg. Seit diesem Jahr ist sie nun Professorin an der Universität Innsbruck. Sie spricht selbst Russisch, Polnisch und B/K/S. „Eine Besonderheit der Uni Innsbruck ist, dass es hier – als eine von nur drei Universitäten im deutschsprachigen Raum – auch eine Professur für russische Fachdidaktik gibt. Hier lässt sich viel bewegen.“ Mit Oktober 2016 hat Sandra Birzer auch die wissenschaftliche Leitung des Russlandzentrums der Universität Innsbruck übernommen, das sie als Servicezentrum für die gesamte Universität weiterführen und weiter ausbauen will. „Es gibt bereits mehrere Kooperationen unterschiedlichster Fachbereiche mit Russland. Diese Kooperationsmöglichkeiten will ich einerseits weiter ausbauen helfen, andererseits auch weiterhin Angebote für die Stadtbevölkerung in Innsbruck setzen“, sagt sie.