Im alpinen Raum stellen hochwasserführende Wildbäche und Gebirgsflüsse eine große Gefahr für Gebäude und Infrastruktur dar. Das zeigte etwa die Katastrophe im August 2005, als der in Tirol und Vorarlberg gemessene Tagesniederschlag jenen Wert überstieg, der rein statistisch nur alle 150 Jahre auftritt. Durch Hochwasser und Muren wurden damals über 250 Häuser zerstört oder beschädigt, 10 km Straßen wurden unbefahrbar. Der Gesamtschaden belief sich auf über 440 Millionen Euro.
Um die Gefährdung von Gebäuden durch Wildbäche beurteilen zu können, stützen sich Experten bislang vorwiegend auf Beobachtungen und Schadenserhebungen bei realen Ereignissen. Dies möchte ein Team um Bernhard Gems vom Arbeitsbereich Wasserbau an der Fakultät für Technische Wissenschaften nun erweitern. Im Labor will Gems gemeinsam mit dem Dissertanten Michael Sturm Daten für eine physikalisch-basierte Gefahreneinschätzung gewinnen. „Wir wollen die bei solchen Ereignissen auftretenden Prozesse besser verstehen und die damit verbundenen Gefahren besser einschätzen können“, fasst Bernhard Gems zusammen.
Förderung durch das Land Tirol
Finanziert wird das Vorhaben vom Tiroler Fonds zur Grundlagenforschung. Im Rahmen eines Matching-Fund-Modells fördert das Land Tirol seit 2014 vom FWF positiv begutachtete, aber aus finanziellen Gründen abgelehnte Projekte. Die jedes Jahr zur Verfügung stehenden Mittel von über 3 Millionen Euro kommen je zur Hälfte vom Land Tirol und der österreichischen Nationalstiftung. Unterstützt werden Projekt von Forschern, die am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere stehen und das Doktorat vor weniger als acht Jahren abgeschlossen haben, sowie Anträge von Wissenschaftlerinnen. „Diese Mittel wurden bisher nicht vollständig ausgeschöpft“, sagt Forschungs-Vizerektorin Sabine Schindler. „Wir wollen Antragsberechtige auf diese Form der Projektfinanzierung aufmerksam machen und sie dazu motivieren, diese Möglichkeit verstärkt zu nutzen. Es sind junge Wissenschaftler und Frauen, die von dieser Förderung profitieren. Anträge müssen über den FWF eingereicht werden und werden von dort automatisch weitergeleitet.“
Ein Großversuch
Bernhard Gems und seine Kollegen errichten im Wasserbaulabor derzeit ein Modell vom Schwemmkegel des Schnannerbaches im Tiroler Oberland. „Wir können hier auf einem bereits bestehenden Modell aufbauen, mit dem im Auftrag der Wildbach- und Lawinenverbauung die Möglichkeiten eines verbesserten Hochwasserschutzes am Schnannerbach untersucht wurden“, erzählt Bernhard Gems. „Das Projekt wäre ansonsten trotz der großzügigen Förderung durch den Tiroler Fonds zur Grundlagenforschung kaum durchführbar gewesen.“
Rekonstruktion eines im Modellversuch abgebildeten Gebäudes (Grafik: Uni Innsbruck)
Knapp 350.000 Euro stehen dem Wissenschaftler für das Projekt zur Verfügung, das er gemeinsam mit Sven Fuchs und Maria Papathoma-Köhle vom Institut für Alpine Naturgefahren der BOKU und Bruno Mazzorana von der Universidad Austral de Chile durchführt. Das etwa 10 mal 15 Meter große Modell bildet die natürlichen Prozesse in einem Maßstab von 1:30 ab und umfasst auch mehrere Gebäude. „Drei Gebäude davon werden mit Sensoren ausgestattet, mit denen wir die räumliche Verteilung der auf die Strukturen wirkenden Kräfte messen können“, sagt Gems. „Dabei werden wir auch die Wirkung von Sedimenten erfassen, die durch Öffnungen in die Gebäude eindringen.“
Anspruchsvolle Messungen
Unter diesen Bedingungen stellt die Messtechnik für die Wasserbauer eine große Herausforderung dar, das haben die ersten Vorversuche bereits gezeigt. Im Juni soll das Großmodell fertig sein, dann wollen Gems und seine Kollegen mit den eigentlichen Versuchen am Modell des Schnannerbaches beginnen.
Die gewonnenen Daten bilden die Grundlage für numerische Simulationen bzw. strukturmechanische Berechnungen, die in Chile durchgeführt werden. „Auf dieser Basis werden meine Kollegen an der BOKU Wien physikalisch-basierte Schadensfunktionen ableiten und damit eine physikalisch fundierte Basis für die Vulnerabilitätsanalyse von Gebäuden erarbeiten“, sagt Bernhard Gems. „Bedeutung wird dies in Zukunft beispielsweise bei der Planung und Kosten-Nutzen-Analyse von Hochwasserschutzmaßnahmen, wie sie auch Objektschutzmaßnahmen direkt am betroffenen Gebäude darstellen, haben.“