Korb mit Gemüse
Den Weg von Nahrungsmitteln vom Beet auf den Teller vermitteln.

Blick über den Teller­rand

Ernährungssicherheit und der nachhaltige Umgang mit Nahrungsmitteln stehen im Mittelpunkt des EU-Projekts „BigPicnic“. Dabei setzt die Universität Innsbruck mit ihren 18 Projektpartnern aus Europa und Afrika auf Interdisziplinarität und Beteiligung der Bevölkerung.

Lebensmittelsicherheit: Dieser Begriff ist in Zeiten von rasantem Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Landnutzungskonflikten in aller Munde. Nie war die Frage nach der Sicherstellung der Versorgung der Weltbevölkerung mit gesunder, nährstoffreicher und sicherer Nahrung aktueller. Das brisante Thema nehmen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Innsbruck als Partner des EU-Projekts „BigPicnic“ unter die Lupe. Suzanne Kapelari, Professorin am Institut für Fachdidaktik, blickt mit ihrem Team über den Tellerrand und legt den Fokus auf die Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung.

Selbstbestimmt handeln

Durch ausreichendes Wissen über Risiken und Gefahren, aber auch Möglichkeiten, die sich im Umgang mit Lebensmitteln ergeben, können Verbraucherinnen und Verbraucher selbstbestimmt handeln. „Die Dinge, die ich schwer ändern kann, über die kann ich viel diskutieren, aber sie machen mich nicht selbstbewusst. Selbstbewusst oder handlungsfähig machen mich jene Bereiche, in denen ich selbst aktiv sein kann, in denen ich selbst Entscheidungen treffen kann und wo ich etwas verändern kann“, erklärt Suzanne Kapelari. Die Arbeit an der Universität Innsbruck umfasst verschiedene Schwerpunkte, die dazu beitragen sollen, Menschen aller Generationen in dieses „forschende Lernen“ miteinzubinden. Durch Workshops im ländlichen Raum sollen junge Menschen dazu motiviert werden, sich mit dem Thema der Lebensmittelsicherheit auseinanderzusetzen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bieten unter dem Motiv der „Regionalen Superfoods“ Informationen zu einer gesunden Ernährung und zeigen Jugendlichen, wie man Nahrungsmittel selbst anbauen kann und wie man testet, welche Inhaltsstoffe enthalten sind. Ohne Kenntnisse über nötige Rahmenbedingungen und ein fundiertes Hintergrundwissen ist die Qualität der selbstgezüchteten Lebensmittel noch lange nicht gesichert. „Nur weil ich selbst im Hochbeet meine eigenen Tomaten anbaue, müssen sie nicht weniger belastet sein, als die konventionell im Glashaus gezogenen. Wir wollen den Menschen vermitteln, selbst anzubauen ist gut, aber man braucht ausreichendes Wissen darüber“, erklärt Suzanne Kapelari. Fachliche Unterstützung erhält das Projekt dabei durch den Ernährungswissenschaftler Karl-Heinz Wagner, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Ernährungswissenschaft in Wien. In Absprache mit Christian Partl vom Amt der Tiroler Landesregierung, der in der Gruppe Agrar für den Themenbereich Saatgut und alte Sorten zuständig ist, und mit Stefan Prantauer von der Abteilung Landwirtschaftliches Schulwesen werden die Workshops in Landwirtschaftlichen Schulen durchgeführt. Neben Küchen und genügend Raum sind auch die dazugehörigen Gärten vorhanden, in denen der „Weg der Lebensmittel“ vom Beet auf den Teller vermittelt werden kann. Clemens Stecher erarbeitet im Zuge seiner Dissertation am Institut für Fachdidaktik die Workshops, angeboten werden sie durch die Junge Uni der Universität Innsbruck.

Nährwert und Mehrwert

Der geschaffene Mehrwert durch die Workshops soll durch eine vielseitige Evaluierung nachvollzogen werden, wie Prof. Kapelari betont: „Wir, die School of Education, als fachdidaktische, forschende Institution, haben großes Interesse an der entsprechenden Evaluierung bzw. Beforschung der Lernprozesse während dieser Workshops. Bis jetzt wurde die Evaluierung noch nicht wirklich in den Fokus solcher Projekte gestellt. Die Fragen ‚Wie nachhaltig sind die Lernprozesse?‘ und ‚Sind überhaupt Lernprozesse zu erkennen?‘ sind immens wichtig, um das Potential dieser Art der Wissensvermittlung nützen zu können und es schafft Input für die Herangehensweise an künftige Projekte.“ Clemens Stecher setzt dabei auf Beobachtungen, Fragebögen und Interviews. Außerdem sollen Teilnehmer nach einigen Monaten erneut befragt werden, um zu sehen, in wie weit sie das erworbene Wissen weiter umsetzen. „Die Dosis macht die Wirkung - solange nur einzelne auf ihrem Balkon oder in ihrem Garten Pestizide einsetzen, um ihre Pflanzen vor Schädlinge zu bewahren, hat das wohl nur geringe Auswirkungen. Wenn der aktuell zu beobachtende „Garten Boom“ aber dazu führt, dass viele das tun, wird eine kritische Masse erreicht, die sehr wohl Einfluss nimmt. Wissen über Anbau, Aufzucht und Inhaltsstoffe von Nahrungspflanzen sind unerlässlich, um nachhaltige und gesunde Entscheidungen für uns und unsere Umwelt zu treffen “, sagt Stecher.

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Bei der dem Projekt zugrundeliegenden Idee von „Responsible Research & Innovation“ geht es darum, dass sich Menschen Gedanken zu einem Thema machen, sich aber auch damit auseinandersetzen, welche Gedanken sich die Wissenschaft dazu macht und anschließend, im gemeinsamen Diskurs, Anregungen für die wissenschaftliche Entwicklung bieten können. Im Rahmen von Science Cafés, die gemeinsam mit dem Agrarsoziologen Markus Schermer organisiert werden, werden Überlegungen, Sorgen und Ängste, die Menschen beim Thema Nahrungsmittelsicherheit haben, gesammelt. Am Ende des Projekts wird der Wissenschaftsladen Bonn einen Bericht verfassen, in dem alle Ergebnisse zusammengeführt werden, um sie der Forschung vorzustellen. Ernährungssicherheit soll einerseits im Diskurs mit der Gesellschaft verankert werden und andererseits in die LehrerInnenausbildung unter dem Motiv der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ einfließen. „Ich denke, dass die School of Education in diesem Schwerpunkt eine wichtige Rolle spielt, da wir Lehramtsstudierende aus allen Fächern vereinen. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist nicht spezifisch ökologisch, geografisch oder biologisch – es ist ein interdisziplinäres Thema, das in allen Fach- und Unterrichtsbereichen diskutiert werden soll. Wir müssen Unterricht neu denken“, erklärt Prof. Kapelari.

Rezept für eine bessere Zukunft

Die Arbeitsgruppen aus ganz Europa und Afrika arbeiten selbstständig. „Es wird kein globales Rezept geben. Denn wir nehmen uns Möglichkeiten, wenn wir versuchen, eine globale, für alle wirksame Lösungsstrategie zu finden. Möglicherweise sind Aspekte aus verschiedenen Kulturkreisen übertragbar und wir können diese dann mit Elementen des eigenen Kulturkreises sinnvoll verschränken“, erklärt Suzanne Kapelari. „Die Nahrungsmittelsicherheit ist ein Thema, bei dem wir jetzt die Zukunft gestalten müssen. Wir müssen jetzt entscheiden, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll. Jeder und jede einzelne, der und die sich entscheidet, macht einen Unterschied und hier wollen wir mit unserem Projekt ‚BigPicnic‘ einen Beitrag leisten.“

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