Seen in Grönland
Neu entstandene Seen vor den Eismassen in Grönland.

Die Wiege der Seen

Durch das rasante Schmelzen der Eismassen in Grönland entstehen tausende neue Seen. Ruben Sommaruga, Leiter des Instituts für Ökologie, hat im Rahmen einer internationalen Expedition den Ursprung von Seen untersucht und seine Ergebnisse im ISME Journal von Nature veröffentlicht.

Bepackt mit Tonnen an Material für Untersuchungen vor Ort reiste Ruben Sommaruga im Jahr 2012 gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark, Belgien und Deutschland nach Grönland, in die kleine Stadt Ilulissat, von wo aus die Expedition gestartet ist. „Mit einem Hubschrauber flogen wir über die beeindruckende Landschaft von Grönland zu unserem Forschungsplatz. Die Seenlandschaft hat sich allein in den letzten zwei Jahren komplett verändert“, erzählt Ruben Sommaruga, der anhand alter NASA-Satellitenfotos vergleichen konnte, welche Seen neu entstanden und welche bereits wieder verschwunden sind. Verglichen mit dem Alpenraum können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bedingt durch den raschen Rückgang der Eismassen, die Entstehung von neuen Seen beobachten und untersuchen. „Der jüngste See, den wir im Rahmen von Untersuchungen der Faselfad-Seen im Verwalltal erforscht haben, war etwa 50 Jahre alt. In Grönland konnten wir Proben aus viel jüngeren Seen, von vier Jahren, bis hin zu alten Seen, von bis zu 500 Jahren, nehmen“, so der Ökologe, der beschreibt, dass die Landschaft in Grönland äußerst dynamisch ist. So wurden Sommaruga und das Team an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Zeugen vom Bruch einer labilen Moräne, in Folge dessen, ein See zu einem Fluss wurde. „Es war auch nicht ganz einfach, einen geeigneten Platz zum Forschen und Übernachten zu finden. Für uns war es wichtig, möglichst nahe am Grönlandeis und trotzdem nicht den Gefahren der launigen Natur dort ausgesetzt zu sein“, verdeutlicht Sommaruga. Ausgerüstet mit Gewehren zur Notwehr gegen Eisbären und mit Forschungsequipment verbrachte das Team drei Wochen in einer von ihnen beschriebenen „Mondlandschaft“, in der sie über hundert Seen untersucht haben.  

 

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Im Bild sind das Forschungs- und Sozialzelt sowie die Schlafzelte der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu sehen. (Bild: Ruben Sommaruga)

Seen und Gemeinschaften entstehen

Eine Herausforderung für Sommaruga und seine Kolleginnen und Kollegen war es, einen Überblick über die tausenden Seen zu bekommen und deren Alter zu bestimmen. „Alte Satelliten und Luftbilder gaben uns zwar Aufschluss darüber, welche Seen neu entstanden sind und welche schon seit längerem bestehen, allerdings sahen wir uns auch vor der Aufgabe, zu definieren, welche Gewässer wir tatsächlich als Seen bezeichnen konnten“, so der Ökologe. Beim Schmelzen der Eismassen bleibt Wasser in Gesteinsmulden zurück und erst dann, wenn Land zwischen dem Gewässer und Eis entsteht, sprechen die Expertinnen und Experten von einem See. „Im Zuge unserer Untersuchungen haben wir nicht nur die chemisch-physikalischen Bedingungen in den Seen gemessen, sondern haben unseren Schwerpunkt auch auf die Analyse der Zusammensetzung der Nahrungsnetze gelegt“, erklärt Sommaruga, für den es besonders spannend war zu beobachten, wie sich Gemeinschaften in einem neuen See etablieren und sie sich in kurzer Zeit verändern. Sobald Seen den Kontakt mit dem Gletscher oder den Eismassen verlieren und die Trübung aufklärt, kommt es zu größeren strukturellen Veränderungen in den Gemeinschaften im Gewässer und seiner Umgebung. „Mit dem zunehmenden Alter der Seen verändert sich auch die terrestrische Vegetation. Die Umgebung wandelt sich von einer kargen zu einer grünen Landschaft“, erzählt Sommaruga von seinen Beobachtungen. Weiters konnte der Wissenschaftler feststellen, dass sich in älteren Seen, im Gegensatz zu den erst „geborenen“ Seen, Fische angesiedelt haben. Welche Organismen in einem jungen See ihre Heimat finden, ist von bestimmten Faktoren abhängig. „Taxis“ wie Wind und Vogelzug bedingen die Verbreitung der Organismen zwischen den Seen. „Gerade in Grönland darf auch nicht vergessen werden, dass viele unterschiedlichsten Organismen aber vor allem Mikroorganismen bereits schon im Eis leben und durch das Schmelzen auch in den See gelangen. Nicht alle werden dann auch im Wasser überleben können“, so der Wissenschaftler, der auch von der Bedeutung von Gänsen in Grönland erzählt, „Gänse landen in den Gewässern und helfen so, Organismen zu verbreiten. Auch stimuliert ihr nahrhafter Kot das Wachstum von Algen.“ Noch wissen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wenig über die Dynamik in den Seen und wie die hohe Trübung durch Mineralpartikel die Gemeinschaften in den Seen beeinflussen. Auch die Verschmutzung der Atmosphäre, die im Eis der Gletscher gespeichert ist, kommt durch das Schmelzen wieder in die Gewässer zurück. „Grönland war für uns der ideale Ort, um die Wiege der Seen zu erforschen und zu untersuchen, wie sich neue Gemeinschaften etablieren. Da dort alle auf sehr ähnlichem Meeresniveau entstehen, kann auch die Beeinflussung des Höhenunterschieds, wie wir ihn in den Alpen erleben, ausgeschlossen werden“, betont Sommaruga, der von den dort vorherrschenden Bedingungen und Dimensionen des Eises beeindruckt war. Ruben Sommaruga wurde im November von der Association for the Sciences of Limnology and Oceanography, als Ehrenmitglied aufgenommen.

 

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Mit dem Hubschrauber wurde das Material gemeinsam mit den Expertinnen und Experten zur Forschungsstätte gebracht. (Bild: Ruben Sommaruga)



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