Eine Marmor-Replik der Prometheus-Statue von Nicolas Sébastien Adam ist Kunstgegenstand von Thomas Feuerstein, der von diesem griechischen Mythos inspiriert wurde. „Prometheus war der erste Bildhauer, der nach Ebenbild der Götter die Menschen aus Lehm geformt hat. Als ihr Schöpfer und Beschützer entwendete er den Göttern das Feuer und brachte es den Menschen. Als Vergeltung ließ ihn Göttervater Zeus an den Kaukasus fesseln, wo ihm ein Adler seine täglich nachwachsende Leber aus dem Leib riss“, erzählt der Künstler das Schicksal der Figur. Als Rebell gegen die Götter ermöglicht Prometheus den Menschen, sich zu entfalten, und der Feuerraub wird zum Sinnbild für die technologischen Entwicklungen, die Feuerstein auch als Bildhauer beeindrucken. „Ich interessiere mich für meinen eigenen Alltag und was ich hier finde, ist hochgradig technologisch. Wissenschaft begleitet uns täglich, und so wird schon das Kochen zu einer täglichen Laborarbeit. Wir sind umgeben von einer sich ständig verändernden Welt und können noch nicht ermessen, wohin diese Reise gehen wird“, betont Feuerstein, der für sein neuestes Kunstprojekt die wissenschaftliche Unterstützung von Thomas Pümpel und seinem Team vom Institut für Mikrobiologie benötigt. Um den Veränderungsprozess des Lebens und der Technologie zu veranschaulichen, sollen steinfressende Bakterien die Replik der klassischen Marmorfigur stetig verändern.
Steinfresser
„Chemolithoautotrophe Bakterien sind faszinierende Organismen, da ihr Stoffwechsel nicht, wie wir es von unserer Umwelt vor allem kennen, auf Photosynthese oder organischem Material aufbaut, sondern sie sich von Stein und Kohlendioxid ernähren“, erklärt Mikrobiologe Thomas Pümpel. Für Feuerstein war die Verbindung zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bereits jahrelange Erfahrungen mit der Kultivierung und biotechnologischen Anwendung unterschiedlichster Bakterien haben, ein Glücksfall. „Als Bildhauer bin ich auch steinzersetzend. Die Idee war, in die Arbeit am Stein die natürlichen Prozesse der am Marmor nagenden Bakterien miteinzubeziehen und so den Steinmeißel durch einen Säuremeißel zu ersetzen. Auf diesem Weg wird der Statue ein neues Aussehen verliehen, das wir im Vorhinein nicht genau beeinflussen können“, so Feuerstein. Kultiviert in einem Bioreaktor produzieren die vom Eisenerz Pyrit und von Kohlendioxid lebenden Bakterien Schwefelsäure, die durch Schläuche in die Replik der Prometheus-Statue eingeleitet wird und langsam beginnt, die Oberfläche zu zersetzen. „Wir wissen, dass sich diese Art von Bakterien auch im Abwassersystem wohlfühlt. In Betonkanälen verursachen sie allerdings Schäden, weil sie den Beton zersetzen. Diese ‚biogene Schwefelsäurekorrosion’ ist hier natürlich unerwünscht und muss in gefährdeten Kanalabschnitten durch den Einsatz resistenter Baustoffe oder Beschichtungen verhindert werden. Von Christian Ebner vom Abwasserverband Zirl und Umgebung haben wir einige Gramm Sielhaut, wie die Biofilme in den Kanalrohren genannt werden, bekommen“, erläutert Pümpel. Anna Arthofer, Masterstudentin am Institut für Mikrobiologie, hatte die Aufgabe, diese Thiobazillen aus der Sielhaut anzureichern und in einer größeren Menge zu kultivieren, um sie dem Künstler zur Verfügung stellen zu können. „Im Labor haben wir für sie Wohlfühlbedingungen geschaffen, in denen sie sich problemlos vermehren konnten. Da sie sehr saures Milieu bei pH-Werten unter pH 3 lieben und wir sie nur mit anorganischen Salzen und Pyrit fütterten, hatten andere Organismen keine Chance, und wir konnten diese Bakterien problemlos anreichern“, erläutert die Wissenschaftlerin. Seit September sind die vom Team der Mikrobiologie kultivierten chemolithoautotrophen Bakterien in der Kunstausstellung von Thomas Feuerstein am Werk.
Wissenschaft und Kunst
Die Frage, ob die Kunst die Wissenschaft beeinflusst hat oder umgekehrt, beschäftigt den Tiroler Künstler genauso wie die Forscherinnen und Forscher an der Uni Innsbruck. „Wissenschaft ist oft eine große Kunst. Die richtigen Lösungen bei komplexen Problemen zu finden, ist selten einfach. Wir sind auch auf unsere Intuition angewiesen und es erfordert ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl für die Materie, da man nicht immer alle Parameter vorausberechnen oder messen kann“, bekräftigt Pümpel. Was für Thomas Feuerstein Kunst und Wissenschaft verbindet, ist eine sehr naheliegende Betrachtung: „Es ist das Interesse an der Wirklichkeit, das für mich beide Disziplinen verbindet. Wie funktioniert die Welt, unser Zusammenleben und die Beziehungen zu natürlichen und sozialen Prozessen? Das sind Fragen, die sich auch die Menschen täglich stellen.“ Auch historisch gesehen waren Künstler immer Wissenschaftler und Wissenschaftler immer Künstler. Mathematik, Physik und Biologie waren für Kunstschaffende schon immer eine zentrale Grundlage für ihre Werke. So war der Architekt Filippo Brunelleschi der erste, der ein technisches Patent bekommen und Leonardo da Vinci ein Musterbeispiel eines Ingenieurs und Künstlers, der Wissenschaft und Kunst in seinen Werken verbunden hat. Der Fortschritt und die Technologie faszinierten beide Disziplinen gleichermaßen. „Auch Piero della Francesca wurde von seinen Kolleginnen und Kollegen vorgeworfen, seine Bilder nicht zu malen, sondern sie zu rechnen“, so Feuerstein, der damit aufzeigen möchte, dass sich die Disziplinen näher stehen, als oftmals vermutet wird. Auch unser Alltag ist hochgradig von wissenschaftlichen Erkenntnissen durchdrungen. „Was uns heute noch verrückt vorkommt, kann in zwanzig Jahren bereits Wirklichkeit sein. In der Kunst sehe ich hier einen möglichen Auftrag, Entwicklungen zu hinterfragen und aufzuzeigen“, betont der Künstler. Die Verbindung von Wissen, Erfahrung und Kunst macht diese Kooperation zu etwas Besonderem.
Zur Ausstellung
Von September bis November war die Ausstellung von Thomas Feuerstein mit dem Namen „Prometheus Delivered“ in Berlin im Haus am Lützowplatz zu sehen. Am 10. Jänner 2018 wird die von den am Institut für Mikrobiologie kultivierten Bakterien transformierte Prometheus-Statue in München in der Eres-Stiftung zu sehen sein.
Dieser Artikel ist in der neuen Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).