In der Physik existieren gewisse Größen nur als ganzzahlige Vielfache elementarer und unteilbarer Bestandteile. Wie das antike Konzept des Atoms bezeugt, ist diese Idee schon lange bekannt. Die Entdeckung der Quantisierung physikalischer Größen, wie etwa der Photonen als Lichtquanten, hat unser Verständnis der Natur revolutioniert und zur heute gängigen quantenmechanischen Beschreibung der mikroskopischen Welt geführt.
In einem Beitrag im Fachmagazin Science Advances sagt nun ein internationales Team um Nathan Goldman von der Universität Brüssel und Peter Zoller vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine neue Art von Quantisierungsgesetz voraus. Dieses bezieht sich auf eine bestimmte physikalische Größe: die Aufheizrate von Quantenmaterie, wenn sie geschüttelt wird. Dies lässt sich durch folgendes Beispiel verständlich machen: Heizt man einen Eiswürfel in einen Mikrowellenofen auf, werden die Wassermoleküle angeregt und das Eis schmilzt immer rascher. Während des Aufheizens nimmt die Anzahl der Eismoleküle ab; ein Prozess, der mit einer Aufheizrate beziffert werden kann. Im nun erschienenen Fachartikel zeigen die Wissenschaftler um Goldman und Zoller, wie diese Aufheizrate unter bestimmten Umständen einem exakten Quantisierungssatz folgt. „Dieses Phänomen tritt besonders dann auf, wenn das physikalische System, das ursprünglich einen exotischen Materiezustand, nämlich eine topologische Phase, bildet, in kontrollierter Weise erhitzt wird“, erklärt Peter Zoller. „Durch das Aufheizen werden Teilchen aus der topologischen Phase ausgestoßen — in direkter Analogie zum Schmelzen des Eises. Die entsprechende Aufheizrate folgt dem erwähnten Quantisierungsgesetz.“
Quantisierung und Topologie
Entscheidend dabei: Die Quantisierung der Aufheizrate ist abhängig der topologischen Natur der ursprünglichen Phase, analog zur quantisierten Leitfähigkeit in Festkörpern. Auch die Leitfähigkeit, die Effizienz, mit der in einem Material elektrischer Strom erzeugt werden kann, kann unter bestimmten Umständen quantisiert sein. Die Festkörperphysik spricht hier von der Leitwertquantisierung. Die Entdeckung dieses Phänomens — des sogenannten Quanten-Hall-Effekts — wurde 1985 und 1998 mit zwei Nobelpreisen ausgezeichnet. Erstaunlicherweise zeigte sich, dass die Leitwertquantisierung mit einem grundlegenden mathematischen Konzept, jenem der Topologie, eng verknüpft ist. Kurz gesagt, klassifiziert die Topologie geometrische Objekte nach ihrer grundlegendsten Eigenschaft, zum Beispiel nach der Anzahl von Löchern oder Windungen. Diese überraschende Beziehung zwischen der physikalischen Quantisierung von Leitfähigkeit und dem abstrakten Konzept der Topologie eröffnete völlig neue Möglichkeiten zur Untersuchung einer großen Zahl von exotischen Materiezuständen, den sogenannten topologischen Phasen, deren Entdeckung im Vorjahr mit dem Physiknobelpreis gewürdigt wurde. Insofern eröffnet die aktuelle Arbeit neue Einblicke in die verblüffenden Verbindungen zwischen den Quantisierungsgesetzen der Physik und der Topologie.
Neues Werkzeug für die Forschung
Neben diesen faszinierenden Einsichten in die Physik hat die Entdeckung eine entscheidende Konsequenz: Mit dem Aufheizen von Quantensystemen steht nun ein universell einsetzbares Werkzeug zur Verfügung, mit dem exotische Materiezustände im Labor aufgespürt werden können. Die Wissenschaftler schlagen in der Arbeit eine Plattform vor, auf der der Effekt besonders gut nachgewiesen werden könnte: Ultrakalte Gase aus in einem Gitter aus Laserstrahlen gefangenen Atomen. Diese gelten als ideale Systeme, um topologische Quantenzustände zu erzeugen, aber auch um neue Arten von Messmethoden einzuführen. Das Experiment würde in der Praxis darin bestehen, eine topologische Phase zu erzeugen, indem ein ultrakaltes Gas in ein optisches Gitter geladen wird. Anschließend müsste das Gitter in kreisförmigen Bewegungen gerüttelt werden. Die resultierende Aufheizrate kann dann anhand der nach einer bestimmten Zeit in der topologischen Phase verbliebenen Atome bestimmt werden.
Die Arbeit entspringt einer engen Kooperation von Nathan Goldman in Brüssel und Peter Zoller in Innsbruck. Zoller war 2015 als Solvay-Professor für Physik in Brüssel tätig. Mit den 2006 geschaffenen internationalen Solvay-Professuren wird es den Solvay-Instituten ermöglicht, hervorragende Forscherinnen und Forscher für ein bis zwei Monate nach Brüssel einzuladen. Die fruchtbare Zusammenarbeit umfasste außerdem Forscher des ICFO (Barcelona), des Néel Institute (Grenoble) und der University of California in Berkeley.