Wie kann man Kinder und Jugendliche mit Fluchtgeschichten unterstützen und wie ihnen vor Ort in Krisen- und Kriegsgebieten helfen? Wie erklärt man einer gesamten Kindergruppe oder Schulklasse einen Todesfall? Die Traumapädagogik ist eines der wissenschaftlichen Felder, für die sich Andreatta und Mitterhofer einsetzen. „Die Traumapädagogik beschäftigt sich mit allen Themenbereichen lebensgeschichtlich belasteter Kinder und Jugendlichen und mit ihren Familien“, so Pia Andreatta, Wissenschaftlerin sowie Klinische und Notfall-Psychologin, die sich schon lange mit der Thematik beschäftigt. Gesellschaftliche Aktualität hat die Traumapädagogik derzeit vor allem durch die Integration von kriegs- und fluchttraumatisierten jungen Menschen in die Gesellschaft und in das Bildungssystem. Neben der Aktualität der Integrationsdebatte ist das Anwendungsfeld von Traumapädagogik sehr viel breiteres, erläutert Hermann Mitterhofer: „Dieses spezielle Feld der Pädagogik findet in vielen Institutionen seine Anwendung. Kinder, die in verschiedensten Langzeitunterbringungen sowie Institutionen oder Heimen leben, aus schwierigen Familienverhältnissen kommen, insbesondere durch Gewalt, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch traumatisiert sind, erfahren Unterstützung im Sinne der Traumapädagogik.“ Zudem sprechen Andreatta und Mitterhofer davon, dass es auch für die Bildungsbeauftragten und Elementarpädagoginnen und -pädagogen eine herausfordernde Aufgabe ist, die traumatisch belasteten Kinder und Jugendlichen zu fördern und zu integrieren. „In diesem Zweig der Wissenschaft haben wir einen deutlichen Anwendungs- und Praxisbezug“, so Andreatta, die unter anderem in internationalen Einsätzen in Konflikt- und Kriegsgebieten Erfahrungen gesammelt hat.
Einsatz vor Ort
In Gaza, Syrien, Libanon und in Sri Lanka arbeitete Pia Andreatta zwischen einem und sechs Monaten mit verschiedenen Opfergruppen der dort herrschenden Konflikte und Kriege. Betroffen waren vor allem Kinder, Eltern, Vermissende, traumatisierte Helferinnen und Helfer und Ex-Kombattanten. Andreatta engagierte sich über verschiedene Kooperationspartner wie „Ärzte ohne Grenzen“ oder dem ICRC (Internationales Komitee des Roten Kreuzes/Roter Halbmond). Forschungsgeleitete Interventionsmodelle konnten dabei vor Ort eingesetzt sowie neue Erkenntnisse gewonnen werden. „Die Einsatzgebiete bargen unterschiedliche Herausforderungen und Schwerpunkte. In Sri Lanka beispielsweise stand mit dem Ende des Bürgerkrieges die post-traumatische Verarbeitung der Kriegserlebnissen im Vordergrund“, so Andreatta, die weiters von ihrem Einsatz in Syrien im Jahr 2013 erzählt: „Hier sind die Kinder und Jugendlichen noch laufend Traumatisierungen ausgesetzt. Eine Verarbeitung durch die Opfer ist hier noch lange nicht möglich, dafür stehen aber notfallpädagogische Szenarien für Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt. Zentral sind dabei die Stabilisierung der emotionalen Situation und die Bemühungen um Angstreduktion. Das bedeutet mitunter auch, Handlungsstrategien während einer Bedrohung oder eines Bombenangriffes einzuüben.“ Andreatta war auch während des Krieges im August 2014 in Gaza. Der Fokus ihrer Arbeit in diesem Gebiet lag neben der forschungsgeleiteten Intervention bei belasteten Helferinnen und Helfern unter anderem auf der Unterstützung der Eltern im Umgang mit ihren Kindern und Familien. „Was Eltern konkret mit ihren Kindern in der Familie tun können und wie sie Traumasymptome richtig erkennen und ihnen entgegenwirken können, war hier der Schwerpunkt der Arbeit“, erklärt die Expertin, die so verdeutlicht, dass die Anwendungsfelder der Traumapädagogik vielfältig gestreut sind. Hermann Mitterhofer betont, dass das in den westlichen Kulturen überwiegende klinische Konzept eines Traumas keinesfalls in alle Kulturkreise und Sprachen zu übertragen ist: „Die Art des Denkens und des Umgangs mit prägenden negativen Ereignissen variiert weltweit kulturell sehr stark.“
Gesellschaft
Trauma ist nicht nur vor dem Hintergrund des belasteten Individuums zu betrachten, sondern auch gesellschaftspolitisch. „Wir wissen mittlerweile, dass der gesellschaftspolitische Umgang mit Traumatisierung einen wesentlichen Einfluss auf die Perspektive des Opfers hat, mitunter sogar stärkeren Einfluss als der Grad Traumatisierung selbst“, so Andreatta. Damit weist die Wissenschaftlerin darauf hin, dass dem gesellschaftlichen, aber auch dem juristischen Umgang mit Trauma große Bedeutung beizumessen ist und die Symptome und Verarbeitung der Opfer beeinflusst. Historisch betrachtet hatte dies beispielsweise bei den Opfer-Entschädigungs-Prozessen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Auswirkungen auf die Opfer. Mitterhofer ergänzt, dass dieses Wechselspiel zwischen Politik und Gesellschaft in Österreich noch bis in die frühen Jahre des 21. Jahrhunderts bedeutend ist: „Traumatisierung spielt in österreichischen Asylverfahren eine zentrale Rolle. Neben der Verfolgung aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung ist auch die Traumatisierung ein Grund, weshalb Menschen nicht in ihre ursprüngliche Heimat zurückgeschickt werden dürfen und sie so Asyl in Österreich bekommen. Das war auch für das wissenschaftliche Feld ein Durchbruch.“
Lernen
Mit dem Universitätskurs Traumapädagogik möchten Pia Andreatta und Hermann Mitterhofer ihre Erfahrungen in Wissenschaft und Praxis weitergeben. „Auf der Uni sehen wir die Chance, Praktikerinnen und Praktikern eine Weiterbildung auf hohem Niveau anzubieten. Hier sollen sie nicht nur darin geschult werden, wie sie einem traumatisierten Kind oder Jugendlichen begegnen können, sondern wir möchten weit darüber hinausgehen“, erklärt Andreatta, die sich freut, für den Kurs noch weitere externe Lehrende gewonnen zu haben, allesamt hervorragende Expertinnen und Experten auf ihren Gebieten. Teilnehmen können alle Personen, die sich in ihrem beruflichen Leben mit belasteten und psychisch traumatisierten Kindern und Jugendlichen und mit ihren Familien auseinandersetzen. Die Leiterin und der Leiter freuen sich auf diesen ersten Kurs, der im Herbst 2017 starten soll: „Wir erhoffen uns kritische Anwenderinnen und Anwender, die auch bereit sind, weit über das Feld hinaus zu reflektieren.“
Weiterbildung
Neben den regulären Studien nimmt die Weiterbildung einen wichtigen Stellenwert an der Uni ein. Die Weiterbildungsformate sind entlang der Bedürfnisse der Gesellschaft ausgerichtet. Berufsbegleitend bietet die Uni Lehrgänge, Kurse und Seminare an, mit dem Ziel, den Teilnehmenden fachspezifische Vertiefungen zu vermitteln. Dabei wird besonders Wert auf die praxisnahe Vermittlung von aktueller Forschung im jeweiligen Bereich gelegt. Alle Informationen zum gesamten Angebot der Universitären Weiterbildung sind hier.