Thomas Karmann
Thomas Karmann ist Profesor für Kirchengeschichte und Patrologie.

Vorgestellt: Die Anfänge des Christentums

Die antike Kirchengeschichte und Patrologie sind die inhaltlichen Schwerpunkte von Thomas Karmann, seit März 2017 Professor am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie. Sein Interesse gilt vor allem den Anfängen des Christentums und dabei der Frage, wie damals getroffene Entscheidungen bis heute zentral und prägend für die Kirchen sind.

Die ersten Jahrhunderte bis zum Ende der Antike werden in theologischen Fachkreisen als die Zeit der Kirchenväter bezeichnet, die Teildisziplin, die sich damit beschäftigt, heißt Patristik bzw. Patrologie. „Das Christentum entstand in einer jüdischen und gleichzeitig griechisch-römischen Umwelt und musste sich am Anfang erst selbst definieren. Entscheidungen mussten darüber getroffen werden, was diese neue Religion ausmacht, worin ihre Inhalte bestehen und wie christliches Leben zu führen ist. Diese Phase finde ich persönlich besonders spannend“, so Thomas Karmann über seine wissenschaftlichen Interessen. In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung entwickelte sich das Christentum von einer verschwindend kleinen jüdischen Sekte zur Staatsreligion des Römischen Reiches. Die damaligen Grundentscheidungen prägen die Kirche bis heute. Zudem stellt das frühe Christentum die gemeinsame Vergangenheit aller heutigen Konfessionen dar. „Der Blick auf die Anfänge kann uns also helfen, künftig die Gemeinsamkeiten von Katholiken, Orthodoxen und Protestanten noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken“, betont der Theologe. Um die Quellen der Frühzeit erforschen zu können, benötigen Kirchenhistoriker besondere sprachliche Kompetenzen. Die heute gängigen Fremdsprachen sind für ihre wissenschaftlichen Interessen dabei nur teilweise hilfreich. „Man sollte die antiken Sprachen beherrschen. Neben Griechisch und Latein sind zunehmend auch orientalische Sprachen wie das Syrische, Koptische oder Altäthiopische wichtig, sie eröffnen nämlich einen Zugang zu Schriften, die häufig fast vergessen sind “, hebt Karmann hervor. „Dafür muss man sich natürlich begeistern können und bereit sein, über das normale Studium hinaus Eigeninitiative zu entwickeln und sich diese sprachlichen Kompetenzen anzueignen“, so der Wissenschaftler. Der Blick in den Osten ist aber nicht nur historisch interessant. Karmann betont, dass das Christentum von Anfang eine Weltreligion war und eben nicht nur auf Europa bezogen. In ihren Ursprungsländern, im Vorderen Orient sind die Kirchen derzeit leider sehr gefährdet. „Der Blick zurück ist immer faszinierend. Mir ist es wichtig, vor allem auch in der Lehre deutlich zu machen, dass das Christentum nichts Statisches ist, sondern eine reiche Geschichte besitzt und dass manche Dinge am Anfang anders waren, als wir sie heute kennen.“

Geheime Schriften

Nicht alle frühchristlichen Texte wurden Teil der Bibel. Manche Schriften aus den ersten Jahrhunderten weisen zwar inhaltliche Bezüge zu biblischen Texten auf, sie fanden jedoch keine Aufnahme in die sich allmählich herausbildende Heilige Schrift. Diese Texte werden als apokryph, als „geheim“ bezeichnet. Gerade diese Schriften wecken das Interesse von Thomas Karmann. „Eine der einflussreichsten apokryphen Schriften wird als Protevangelium des Jakobus bezeichnet, der Text stammt aus dem 2. Jahrhundert. Anders als in den Evangelien des Neuen Testaments stehen hier die Geburt Jesu und die Herkunft seiner Mutter Maria im Mittelpunkt. Daraus kann man ersehen, welche Fragen für antike Christinnen und Christen wichtig waren, auch wenn die Schrift selbst nicht in den biblischen Kanon gelangte“, wie der Theologe betont. Solche Texte hatten aber trotzdem eine enorme Wirkungsgeschichte. Dass sich in unseren Weihnachtskrippen bis heute Ochs und Esel finden, geht beispielsweise auf apokryphe Traditionen zurück. Im Neuen Testament findet sich darauf kein Hinweis. Im Oktober hat Karmann zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen aus seinem Institut eine internationale Tagung zu solchen apokryphen Geburtsgeschichten organisiert. In diesem Bereich will der Kirchenhistoriker auch in Zukunft forschen. Besonders spannend findet er dabei die Frage, warum manche Texte kanonisch wurden, während man andere ausschied und verurteilte. „In einigen Fällen“, vermutet Thomas Karmann, „war die Unterscheidung zwischen biblisch und apokryph aber gar nicht so eindeutig. Dies belegen gerade die Erzählungen zur Kindheit Jesu.“

Autorität im Christentum

Ein weiteres Forschungsfeld, das Thomas Karmann derzeit intensiv beschäftigt, ist die historische Entwicklung von Autoritäten im Christentum. Dieser Themenschwerpunkt ergibt sich aus seiner Mitarbeit im Forschungszentrum „Synagoge und Kirchen“. In allen Religionen spielt die Frage nach Autorität eine zentrale Rolle. Neben der Autorität von Texten geht es dabei auch um die Bedeutung bestimmter Personengruppen und Institutionen. „Das frühe Christentum entschied sich einerseits für die Notwendigkeit von Amtsstrukturen, anderseits versuchte die Kirche von Beginn an Glaube und Vernunft miteinander zu verbinden. Dadurch entstand aber auch ein gewisses Konfliktpotential, das im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder aufbrach. Denn damit war die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis die Autorität von Amtsträgern und diejenige theologischer Experten zueinander steht,“ so Karmann. Als ein weiteres Problemfeld verweist der Kirchenhistoriker auf charismatische Gestalten, die kein offizielles Amt innehatten, aber durch ihre persönliche Autorität die institutioneller Amtsträger in Frage stellten. „Das Mönchtum erscheint uns heute als geradezu typisch christlich, das eng mit der Institution Kirche verbunden ist. In der antiken Kirche war dies zunächst aber völlig anders,“ wie der Theologe hervorhebt. „Das Mönchtum entstand als eine Art Protestbewegung, das gegen eine Verweltlichung der Kirche ankämpfte. Die damaligen Amtsträger mussten daraufhin versuchen, die außerhalb ihrer Strukturen stehenden Mönche einzubeziehen. Aus einer Aussteigerbewegung wurde so erst allmählich ein integraler Bestandteil des Christentums.“

Für seine Professur in Innsbruck hat der Patristiker ganz unterschiedliche Pläne. Anfang 2019 will er beispielsweise mit einem Symposium anlässlich seines 50. Todestages an Hugo Rahner erinnern. Dieser ist heute neben seinem Bruder Karl fast in Vergessenheit geraten, für Thomas Karmann war er jedoch ohne Zweifel einer der wichtigsten katholischen Kirchenhistoriker des 20. Jahrhunderts. Der neuberufene Theologieprofessor möchte nicht nur in der Forschung Akzente setzen, ganz besonders liegen ihm auch die Studierenden am Herzen. „Ich hoffe sehr, dass ich als Hochschullehrer meine eigene Begeisterung für die Geschichte des Christentums, ja für die Theologie insgesamt an die Hörerinnen und Hörer weitergeben kann. Auch wenn mein eigener Schwerpunkt in der Antike liegt, so empfinde ich es als Bereicherung, in Innsbruck für alle Epochen der Kirchengeschichte zuständig zu sein. Durch die Lehre darf ich so auch selbst immer wieder Neues lernen“, hebt der Theologe hervor.

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