Wie Erregungs­­zustände das Denken verändern
Das Forschungsteam unter der Leitung von Thomas Maran, Marco Furtner und Pierre Sachse untersuchte die kurzfristigen Auswirkungen von Erregungszuständen.

Wie Erregungs­­zustände das Denken verändern

Weniger Denken, schneller Handeln: Forscher des Instituts für Psychologie der Universität Innsbruck zeigen in einer aktuellen Studie, dass sich stark negative wie auch extrem positive Situationen auf die Fähigkeit des Gehirns auswirken, Vorgänge in der Umgebung richtig einzuordnen. Die Studie wurde nun in „Frontiers in Behavioral Neuroscience“ veröffentlicht.

Wie verändern herausfordernde Situationen unser Denken? Um dieser Frage nachzugehen, führten die Innsbrucker Psychologen Thomas Maran, Marco Furtner und Pierre Sachse mit StudienteilnehmerInnen eine Reihe von Experimenten durch: Sie zeigten den Teilnehmern drei Videoszenen – ein Gewaltszene, eine explizit erotische Szene und eine neutrale Szene. Nach dem Betrachten erregender Szenen waren die Teilnehmer schlechter darin, wiederzugeben, wo sich Objekte befanden oder in welcher Reihenfolge Ereignisse geschahen: Sie waren weniger in der Lage, räumliche und sequentielle Zusammenhänge implizit zu erfassen.  Die in dem Magazin „Frontiers in Behavioral Neuroscience“ veröffentlichte Studie zeigt, dass es in herausfordernden Situationen für Menschen schwieriger ist, zu erfassen, wo sie sich räumlich befinden und was um sie herum geschieht.

Herausforderung im Detail

 Bisherige Forschung konnte zeigen, dass Erinnerungen im Langzeitgedächtnis, die unter hoher Erregung, wie etwa in stressreichen oder gefährlichen Situationen, entstanden sind, häufig wenig in den unmittelbaren Kontext eingebettet waren und Ereignisse weniger detailreich abbildeten. „Dieser Umstand macht Fehlerinnerungen wahrscheinlicher und macht es uns schwerer zu unterscheiden, ob eine neue Situation ähnlich der erinnerten Situation und deshalb vielleicht gefährlich ist. Doch wie wirkt sich hohe Erregung im Hier und Jetzt aus? Kontextinformationen sind unter anderem notwendig, um sich selbst und Ereignisse augenblicklich in Raum und Zeit zu verorten“, erklärt Thomas Maran vom Institut für Psychologie. Ist es für Personen mit Schwierigkeiten verbunden, Kontextinformationen zu erfassen, hat das Auswirkungen auf unmittelbare Entscheidungen, das Verhalten in der Situation und die Erinnerung an diese Situation. Thomas Maran und seine Kollegen untersuchten die kurzfristigen Auswirkungen herausfordernder Erfahrungen auf den Erwerb dieser Kontextdetails. Darüber hinaus wollten die Wissenschaftler verstehen, ob erregende negative und erregende positive Erfahrungen dieselben Reaktionen hervorrufen. „Wir wollten diese Veränderung auf Verhaltensebene messbar machen, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie das Verhalten im Alltag und in herausfordernden Situationen durch Schwankungen im Erregungszustand beeinflusst wird“, sagt Maran.

Positive und negative Filmbeispiele

Er und seine Kollegen gingen von der Grundannahme aus, dass ihre StudienteilnehmerInnen nach dem Betrachten von emotional erregenden Filmausschnitten weniger in der Lage sein würden, implizit, sprich unbewusst, den räumlichen und sequentiellen Kontext zu erfassen – und das gleichermaßen in stark positiven wie in stark negativen Situationen. Um dies zu testen, verwendeten sie Clips von Filmmaterial, das in bisherigen Untersuchungen erfolgreich Stressreaktionen hervorrief: eine Gewaltszene (die die Teilnehmer als negativ erregend erlebten), eine Szene mit sexuellem Inhalt (welche die Teilnehmer als positiv erregend erlebten) und eine neutrale, wenig erregende Kontrollszene. Über Einsatz neuer Instrumente zur Messung der Pupillenweite, die ein zuverlässiges physiologisches Maß für allgemeine Erregung ist, zeigten die Wissenschaftler, dass die Clips wirksam waren und erfolgreich ein hoher Erregungszustand induziert werden konnte.
 Unmittelbar nach dem Betrachten der Clips erhielten die TeilnehmerInnen Aufgaben, die ihre Fähigkeit testeten, entweder einen räumlichen oder einen sequentiellen Kontext implizit zu erfassen. So sahen die TeilnehmerInnen in einem Experiment zum räumlichen Kontext abwechselnd an verschiedenen Positionen Objekte am Bildschirm und wurden im Anschluss überraschend getestet, ob sie sich an die Positionen wiedererinnern konnten. In einem weiteren Experiment mussten die TeilnehmerInnen auf einen bestimmten Buchstaben in einer Abfolge von mehreren Buchstaben reagieren, wobei einige Buchstaben dem gesuchten Buchstaben immer vorausgingen und die TeilnehmerInnen so den Zielbuchstaben vorhersagen konnten. Im Vergleich zur neutralen Szene minderte sowohl die Sexszene als auch die gewalttätige Szene die Fähigkeit der Teilnehmer, sich zu merken, wo bestimmte Objekte gewesen sind, oder Sequenzen zu lernen und damit richtige Vorhersagen zu treffen. „Daraus schließen wir, dass Zustände hoher Erregung als Folge herausfordernder Situationen – sowohl positiver als auch negativer – dazu führen, dass unser Handeln weniger an den Kontext der jeweiligen Situation angepasst ist und wir eher auf eingewöhnte, reflexartige Verhaltensmuster zurückgreifen", erklären die Forscher in der Studie.

Hippocampus

Warum können wir uns in herausfordernden Situationen kontextuelle Details schlechter merken? Thomas Maran und seine Kollegen sehen die Antwort in den Abläufen im Gehirn, welche diesen Denkleistungen zugrunde liegen, verweisen aber dabei auf die Notwendigkeit weiterer Studien mit bildgebenden Verfahren. Mehrere Forschungsergebnisse unterstützen die Vermutung, dass der Hippocampus - ein für die Gedächtnisbildung wichtiges Hirnareal - stark in das Erlernen und Rekonstruieren von räumlichen und zeitlichen Details involviert ist. „Eine Hemmung dieser Funktion im Gehirn angesichts einer potenziell gefährlichen Situation könnte uns davon abhalten, den Kontext einer Situation zu erschließen und jenen Effekt verursachen, den wir in unserer Studie am konkreten Verhalten zeigen konnten“, sagt Thomas Maran. „Vom Kontext losgelöstes Handeln ist reflexartig und damit weniger komplex und anspruchsvoll. Es erlaubt uns bei Herausforderungen schnell zu reagieren und bewahrt uns zugleich davor, Entscheidungen auf der Grundlage unzuverlässiger Informationen aus unsicheren, unvorhersehbaren Situationen zu treffen“.
 Veränderungen im Denken bei hohen Erregungszuständen spielen eine wichtige Rolle bei psychischen Störungen und einer Reihe weiterer Anwendungsbereiche. „Die Erkenntnisse dieser Studie geben uns eine bessere Grundlage für das Verständnis von menschlichem Verhalten unter hohen Erregungszuständen: Das reicht von der Beurteilung von Affekthandlungen im Strafrecht, über Verhaltensstörungen bei psychischen Erkrankungen bis hin zu wichtigen Entscheidungen in stressreichen Situationen, wie etwa Polizeieinsätzen“, so die Autoren.

(red / Frontiers Press)

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