Der Erste Weltkrieg erwies sich für die Bevölkerung von Welsch-Tirol, dem heutigen Trentino, als besonders schlimme Zeit. Mehr als 55.000 Männer verließen gezwungenermaßen ihre Heimat, um im Feldgrau der k.u.k. Armee in Galizien Leib und Leben aufs Spiel zu setzen. Ungefähr 12.000 Trentiner ließen ihr Leben auf den Schlachtfeldern im Osten. Mit dem „Intervento“, dem Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente, mussten weitere 75.000 Trentiner als Kriegsflüchtlinge („profughi“) ihre Heimat, die zum Kriegsgebiet geworden war, verlassen. Sie wurden ua. in ursprünglich für russische Kriegsgefangene errichteten, großen Barackenlagern in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark untergebracht. Die Situation war für die Familien, Kinder, Frauen und alten Männer äußerst prekär. Ab dem Jahr 1917 verschlechterte die Versorgungskrise ihre Lage nochmals. Zusätzlich zu den Flüchtlingen wurden ungefähr 2.000 politisch „Unzuverlässige“, aktive Irredentisten und vermutete Unterstützer, in den Lagern interniert. Somit war fast ein Drittel der Bevölkerung des Trentino während der Kriegsjahre außer Landes.
Ein Irredentist und Fotograf
Enrico Unterveger wurde 1876 in Trient geboren. Sein Vater und auch seine Tante gehörten zu den frühesten Fotografen Tirols. Unterveger absolvierte seine Ausbildung zum Fotografen zwischen 1898 und 1900 in Wien. Er trat nach seiner Rückkehr in das Atelier seines Vaters ein. Dort spezialisierte er sich auf Gebirgsaufnahmen der Trienter Dolomiten. Mit seinem Ansichtskartenverlag bediente er den sich entwickelnden Fremdenverkehr von den Dolomiten bis zum dalmatinischen Küstenland.
Bald schon kam der überzeugte „Italiener“ Unterveger in Kontakt mit den führenden Trentiner Irredentisten jener Zeit. Cesare Battisti und Guiseppe Colpi zählten zu seinen Freunden. Vom italienischen Geheimdienst angeworben fertigte Unterveger Fotografien von Festungs- und anderen Infrastrukturanlagen der österreich-ungarischen Armee an. Auch produzierte er eine topografische Karte des Adamello-Gebirges für die italienische Armee. 1910 wurde er verhaftet, sein Freund Colpi hatte eine Bank überfallen und er selber stand im Verdacht dessen Konspirant gewesen zu sein. Unterveger wurde des Hochverrats und der Zusammenarbeit mit einer fremden Macht angeklagt und nach Wien verbracht. Erst nach sieben Monaten Kerkerhaft konnte Unterveger nach Trient zurückkehren, wo er unbeirrt seine Tätigkeiten in Sinne des Irredentismus fortsetzte.
Im Mai 1915, zu Beginn des Intervento, wurde Unterveger erneut verhaftet und als politisch unzuverlässige Person in Katzenau bei Linz interniert, wo neben so genannten „Kriegsinternierten“ wie Unterveger auch Kriegsflüchtlinge untergebracht waren – insgesamt zwischen 1.750 bis 2.000 italienischsprachige Österreicher und Österreicherinnen. Es gelang dem Fotografen eine kleine, handliche Kamera (Glasplatten 9x12cm) in das Lager einzuschmuggeln und dort Aufnahmen zu machen.
Nach Kriegsende ließ sich Unterveger wieder in seiner nun italienischen Heimatstadt nieder. Er blieb seinem Beruf treu und erlangte einen hervorragenden Ruf als Fotograf, welcher weit über die Grenzen des Trentino hinausreichte. 1959 verstarb er.
Die ausgestellten Aufnahmen aus dem Lager Katzenau galten seit einem Fliegerangriff der Alliierten im Jahre 1943 auf Trient als verschollen. Erst im Jahre 1980 wurden die weit über hundert Aufnahmen wieder gefunden. Heute gehören die Aufnahmen der Fondazione Museo Storico del Trentino und wurden schon einige Male im Trentino gezeigt. Mit der Ausstellung an der Universität Innsbruck waren Untervegers Bilder nun erstmals in Österreich zu sehen. 36 ausgewählte Aufnahmen vermittelten Eindrücke der Hoffnungslosigkeit und Tristesse des Lebens im Lager Katzenau.
Schreiben für Verständigung und Frieden
Gustavo Corni, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Trento, hat gemeinsam mit seiner Tochter Eliza Corni, Direktorin der Museums-Festung „Colle delle benne“, die Ausstellung kuratiert. In acht verschiedenen Themenbereichen wird ein Einblick in das Leben im Lager Katzenau vermittelt.
Professor Corni ist in Brixen aufgewachsen und hat an verschiedenen deutschen Universitäten studiert. Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit steht, wie er über sich selber sagte, die Vermittlung der neueren italienischen Geschichte für das deutsche Publikum und der deutschen Geschichte für italienische Studenten. Corni sieht sein Wirken als Versuch, ein besseres Verständnis zwischen Italien und Deutschland zu schaffen, im weiteren Sinn ein Friedensprojekt für Europa.
Kooperationspartner der Trentiner Gäste ist das Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. Prof. Gunda Barth-Scalmani, als Vertreterin des Instituts, hob in ihren Worten die Bedeutung der aktuellen Ausstellung hervor. Verstärkend erwähnte Barth-Scalmani nochmals die enormen Belastungen, welchen die Lagerinsassen ausgesetzt waren. Zusätzlich verdeutlichte sie, dass die schlechte Behandlung in den Lagern viele Habsburg-affine Trentiner schlussendlich der italienischen Sache näher gebracht habe. Abschließend schlug Barth-Scalmani einen Bogen in die Gegenwart und erinnerte an die Leiden, welche so mancher Flüchtling unserer Zeit erdulden muss.
Zusammenfassend kann festgestellt werden: „Katzenau“ und ähnliche Lager waren nicht nur eine traumatische Erfahrung für viele Trentiner, sie stehen auch für einen wenig ruhmreichen Umgang mit Minderheiten durch die „Obrigkeiten“ in der Habsburgermonarchie.
(Alois Pircher)