Mariana Spetea, Jeffrey J. Liu, Christoph Schwarzer
Erfolgreiche Zusammenarbeit mit Phosphoproteomics, v.l.: Mariana Spetea vom Institut für Pharmazie an der Uni Innsbruck, Erstautor Jeffrey J. Liu vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und Christoph Schwarzer vom Institut für Pharmakologie an der Medizinischen Universität Innsbruck

Neue Wege zur Aus­schal­tung von Neben­wirkun­gen

Opioide sind potente Schmerzmittel, aber sie haben eine Reihe von Nebenwirkungen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) in Martinsried haben gemeinsam mit ForscherInnen der Medizinischen Universität Innsbruck, der Universität Innsbruck und der Temple University, USA, ein Verfahren entwickelt, das tiefere Einblicke in die Reaktion des Gehirns auf Opioide ermöglicht.

Die Signalkaskaden, mit denen die Zellen auf äußere Reize reagieren, ähneln der Befehlskette eines Unternehmens. Die Aktivierung eines Rezeptors, der als Kopf des Unternehmens fungiert, gibt Anweisungen an andere Proteine innerhalb der Zellen, die als Gruppen von Untergebenen fungieren. Diese Informationen werden dann über Signalkaskaden anderer interagierender Proteine an die unteren Ebenen der Organisationsstruktur weitergegeben. Wie die Mitarbeiter, die verschiedene Aufgaben erfüllen, um ein Unternehmen am Laufen zu halten, sind Proteine die molekularen Maschinen in den Zellen, welche die meisten Funktionen ausführen. In Zellen werden Anweisungen an andere Proteine weitergegeben, indem die Funktion dieser „zellulären Mitarbeiter“ verändert wird. Eine Möglichkeit, die Funktion zu verändern, sind „Phosphorylierungen“ – die Anlagerung eines Phosphatmoleküls an die Proteine. Durch die gleichzeitige Analyse aller molekularen Schalter kann die Aktivität von Signalwegen in Zellen oder einem Organ bestimmt werden. Das Studium dieser Befehlskette gibt einen genaueren Einblick in die derzeit in den Zellen ablaufenden Prozesse als die Untersuchung der DNA, der genetischen „Blaupause“, die in allen Zellen nahezu identisch ist. 

Momentaufnahme der Proteinaktivitäten

Forscher im Labor von MPIB-Direktor Matthias Mann verwenden die Massenspektrometrie – eine Methode, die die Identität und Menge von Proteinen in einer Probe bestimmt – um Phosphorylierungsmuster von Tausenden von Proteinen in vielen Organproben zu beschreiben, ein Ansatz, der als Phosphoproteomik bezeichnet wird. In der aktuellen Studie, die im renommierten Fachjournal Science publiziert wurde, analysierten sie in Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen von Christoph Schwarzer von der Medizinischen Universität Innsbruck und Mariana Spetea von der Universität Innsbruck die Aktivierung von Signalwegen in den verschiedenen Regionen des Gehirns, die auf Opioide ansprechen. Um dieses Ziel zu erreichen, verwendeten die Forscher eine neu entwickelte Methode namens EasyPhos. Um zu verstehen, wie Opioide wirken, müssen Forscher ihren Einfluss auf das Gehirn kennen. „Mit Phosphoproteomics können wir mehr als 50.000 Phosphorylierungsstellen auf einmal analysieren und eine Momentaufnahme aller in den Gehirnproben während dieser Zeit aktiven Wege machen. Wir fanden mehr als 1.000 Veränderungen nach der Exposition eines Opioids, die eine globale Wirkung dieser Wirkstoffe auf die Signalübertragung im Gehirn zeigen", sagt Jeffrey Liu, der Hauptautor der Studie. Bisherige Methoden konnten die Proteinphosphorylierungen nicht in vergleichbarer Größenordnung erfassen und verpassten viele wichtige Signalwege, die ein- oder ausgeschaltet wurden.

Erfolgsversprechende Substanzen

Bei den Tests kamen unter anderem zwei in der Arbeitsgruppe der Pharmakologin Mariana Spetea entwickelte Wirkstoffe zum Einsatz, die in vivo bereits erfolgsversprechende Ergebnisse bezüglich Schmerzlinderung gezeigt haben. „Opioide Wirkstoffe, die am my-Opioidrezeptor binden, führen zu einer verlässlichen Ausschaltung des Schmerzes. Als Nebenwirkungen treten hier allerdings auch oft Abhängigkeiten auf, was zu einem großen Problem bei diesen Opioiden zählt“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Mariana Spetea vom Institut für Pharmazie der Uni Innsbruck. Sie entwickelte auf Basis von Vorarbeiten von Univ.-Prof. Helmut Schmidhammer die Wirkstoffe HS665 und HS666, die an einen anderen Opioidrezeptor binden. „Die von uns gefundenen Wirkstoffe aktivieren  den Kappa-Rezeptor, bei dem keine Abhängigkeit ausgelöst werden kann“, erklärt Spetea. „In Tests am Tiermodell zeigte sich bei einem der beiden Wirkstoffe allerdings die Nebenwirkung Aversion, wobei bei HS666 keine Nebenwirkung in diese Richtung beobachtet werden konnte“, so Spetea. Durch die Zusammenarbeit mit Jeffrey Liu vom Max-Planck-Institut für Biochemie und Christoph Schwarzer von der Medizinischen Universität Innsbruck, die auf einem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt basiert, wurde nun entdeckt, dass die Aktivierung des mTOR-Signalweges für die hervorgerufene Nebenwirkung Aversion verantwortlich ist. Die Inhibierung von mTOR beseitigte die Nebenwirkung Aversion, während die erwünschte analgetische Wirkung bewahrt wurde. „Die vorliegende Arbeit eröffnet ganz neue Möglichkeiten, um nebenwirkungsarme Medikamente gegen Schmerz zu entwickeln“, ist Mariana Spetea überzeugt. In Ihrer Arbeitsgruppe will sie nun weitere Tests an der bisher sehr vielversprechenden Substanz HS666 und weiteren Derivaten vornehmen.

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