Ramek, von 1924 bis 1926 österreichischer Bundeskanzler, galt durchaus als ambivalente Persönlichkeit. So war er als aktiver Politiker von 1918 bis 1934 an wesentlichen Entscheidungen in der Ersten Republik direkt involviert, auch an der „Selbstausschaltung des Parlaments“ 1933, bei der er als Parlamentspräsident fungierte. Generell – und das betont Schausberger im Hinblick auf den vergleichsweise konsensbewussten Kanzler Ramek – sei aber gerade die Erste Republik als ein Modell konfliktorientierter Demokratie anzusehen, wo ein stark ausgeprägtes Konfliktverhalten der Parteien Österreich seinen Stempel aufdrückte.
Rudolf Ramek wurde in der Stadt Teschen (heute poln. Cieszyn, bzw. tschech. Těšín), in Österreichisch-Schlesien geboren, wo er auch das Gymnasium besuchte und maturierte. Ramek wurde in verschiedenen Darstellungen stets als ruhig beschrieben. Seine besonders weiche, schlesische Aussprache fiel dabei auf, was freilich seitens der Kritiker, die ihn damit lächerlich zu machen versuchten, ausreichend Angriffsfläche bot. Nach einem rechtswissenschaftlichen Studium arbeitete er zunächst als Gerichtspraktikant in Teschen, wo er sich für die Christlich-Soziale Partei zu interessieren begann. 1909 wechselte er in die Kanzlei eines bekannten Rechtsanwaltes nach Salzburg, was ihm ebenso wie sein Engagement beim Cartellverband ein berufliches Sprungbrett in das katholische Milieu schuf.
Unmittelbar mit der Gründung der Ersten Republik bekleidete er z.T. zentrale Regierungsämter in Wien (Staatssekretär für Justiz, 1919–1920), aber auch im Salzburger Gemeinderat (1918–1927). Seit 1919 war er zudem Abgeordneter zum Nationalrat, dem er bis 1933 angehörte. Ab 1921 arbeite Ramek als Bundesminister für Inneres und Unterricht, wo er sich besonders der Abrüstungs- und Entwaffnungsfrage zuwendete. Auch versuchte er die zunehmende Präsenz der parteinahen Selbstschutzorganisationen zurückzudrängen.
Rudolf Rameks Amtszeit als Bundeskanzler
Aufgrund wachsender innenpolitischer Spannungen, nicht zuletzt geschürt durch die Politik von Ignaz Seipel, musste dieser, auch aufgrund des Widerstandes der Landeshauptmänner, 1924 zurücktreten. Somit wurde Ramek mit den Regierungsgeschäften beauftragt. Er war bis Oktober 1926 Bundeskanzler, Seipel blieb jedoch im Hintergrund als Parteiobmann der Christlich-Sozialen weiter tätig. Im Gegensatz zu Seipel hatte Ramek ein besseres Verhältnis zu den Ländern und versuchte, eine innenpolitische Beruhigung einzuleiten. Das wurde allerdings inner- wie außerparteilich als Schwäche gedeutet. Zudem zeigte seine Konsenspolitik auch bei den Sozialdemokraten nicht den gewünschten Erfolg. Ein gravierendes Manko seiner Regierung lag jedenfalls auch in der mangelnden Disziplin seiner Minister. Dies lag wohl auch daran, dass ihm die Macht des Parteiobmanns fehlte.
Die neue Regierung stand unter großem Druck des Völkerbundes. Die handlungspolitischen Spielräume des Kabinetts von Ramek waren stark eingeschränkt. Außenpolitisch steckten die Verträge von St. Germain und die Genfer Protokolle einen engen Rahmen ab. Der Bundeskanzler versuchte, in der Handelspolitik zu punkten und mit den Nachfolgestaaten entsprechende Abkommen zu schaffen. Österreich wurde schließlich unter seiner Regierung erfolgreich vom bittstellenden Einkäufer zum gleichberechtigen Vertragspartner.
Innenpolitisch nutzte Ramek den wenigen Manövrierraum für einen konsensualen Regierungsstil; so schaffte er es, einen moderaten Weg zu finden, ohne die Opposition ganz gegen sich zu bringen und die Verfassungsreform voranzutreiben. Zur Anschlussfrage hatte Ramek eine sehr reservierte Haltung. So stattete Ramek etwa, nachdem Ignaz Seipel 1926 zuvor Berlin besuchte hatte, ebenso der deutschen Regierung einen Besuch ab, traf sich jedoch auf dem Rückweg nach Wien in Prag mit der tschechischen Regierung, die das Verhalten Österreichs mit Argusaugen beobachtete.
Auch wenn seine Politik oft von Kompromissen und Zugeständnissen geprägt war, so ging Ramek beim Thema Judenfeindlichkeit und Nationalsozialismus seinen ganz eigenen Weg. Er hatte eine deutliche Abneigung gegen den Nationalsozialismus und war – ganz im Gegensatz zu vielen Mitgliedern der Christlich-Sozialen Partei – dezidiert kein Antisemit. So unterstützte er etwa die Abhaltung des XIV. Internationalen Zionistenkongress in Wien, trotz des großen Widerstandes dagegen, den es in seiner eigenen Partei gab.
Größte Erfolge und letztendliches Ende der Regierung Ramek
Während seiner Regierungszeit versuchte Ramek erfolgreich, die Vorgaben des Völkerbundes zu erfüllen. So gelang 1926 mit den Genfer Protokollen die Aufhebung der Finanzkontrolle über Österreich. Das kann zu einem der größten Erfolge der Regierung Ramek gezählt werden, wurde damals wegen der innenpolitischen Probleme allerdings nicht so eingeschätzt. Außerdem wurde unter Ramek im April 1925 der Schilling eingeführt und es gab Verfassungs-, Steuer- und Verwaltungsreformen und neue Sozialgesetze, wie die Arbeitslosenversicherung und die Alters- und Invaliditätsversicherung. Dazu kommen noch die Abschlüsse zahlreicher Handelsverträge und Zollabkommen, vor allem mit den Nachfolgestaaten.
Seine Regierung stürzte letztlich über den Schulkonflikt von 1926. Sein Unterrichtsminister Emil Schneider hatte in Abwesenheit des Kanzlers mit den Sozialdemokraten einen Kompromiss ausgehandelt, der innerhalb Österreichs zwei verschiedene Schulsysteme vorgesehen hätte. Ramek musste diesen Kompromiss rückgängig machen und den Unterrichtsminister zum Rücktritt bewegen. Daraufhin folgten Unruhen und Massendemonstrationen der Sozialdemokraten. Zugleich forderten die Beamten Erhöhungen der Gehälter, was aber nicht mit den Verträgen des Völkerbundes vereinbar war. Schlussendlich führte dieser Beamtenstreik zu seinem Rücktritt. Seipel konnte erneut ins Bundeskanzleramt einziehen.
Ramek selbst kehrte als zweiter Nationalratspräsident ins Parlament zurück. Am 4. März 1933 trat er wegen Geschäftsordnungsstreitigkeiten zurück, was später von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß als „Selbstausschaltung des Parlaments“ bezeichnet wurde. Als letzte politische Handlung leitete Ramek in der Folge auf Drängen von Dollfuß die letzte Sitzung des Nationalrats der Ersten Republik am 30. April 1934. Danach kehrte er der Politik endgültig den Rücken und war bis zu seinem überraschenden Tod 1941 wieder als Rechtsanwalt tätig.
(Barbara Gerstenbauer)