Seilbahnen für Skilifte, Kabelbäume in der Automobiltechnik und medizinische Endoskope wirken auf den ersten Blick sehr unterschiedlich, teilen sich aber eine besondere Eigenschaft: „Sie bestehen aus sehr beweglichen, flexiblen Komponenten, die an Schläuche oder Seile erinnern“, sagt der Projektkoordinator Prof. Dr. Martin Arnold vom Institut für Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Das macht es in der Praxis schwer, ihr Verhalten genau vorherzusagen. Bisher würden viele Unternehmen für neue Produkte und Projekte vor allem auf Erfahrungswissen setzen, so Arnold weiter. Gleichzeitig sei es schwierig und kostspielig, diese Produkte zu optimieren. An dieser Stelle setzt das neue Doktorandennetzwerk „Joint Training on Numerical Modelling of Highly Flexible Structures for Industrial Applications“ (THREAD) an, an dem Universitäten aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Norwegen, Österreich, Slowenien und Spanien beteiligt sind, darunter die Universität Innsbruck. Ziel ist es, für diese Anwendungen einen sogenannten „digital twin“ zu erstellen, also ein möglichst genaues, virtuelles Abbild. Dabei geht es vor allem darum, nicht nur das Verhalten einzelner Bauteile zu modellieren, sondern die Eigenschaften des gesamten Systems. So lassen sich bereits in der Entwicklungsphase sehr viele Simulationen durchspielen und zum Beispiel auch der Materialverschleiß berechnen.
Anwendungsorientiere Grundlagenforschung
Die Forschungsprojekte greifen dafür auf die sogenannte Balkentheorie, ein klassisches Modell der Mechanik, zurück. Wie sich das Modell auf hochkomplizierte technische Systeme anwenden lässt, ist eine bisher ungelöste Frage, die von den Promovendinnen und Promovenden geklärt werden soll. Das Spektrum der Arbeiten reicht dabei von der angewandten Mathematik über die Mechanik bis hin zur industrienahen Forschung. Neben der akademischen Ausbildung absolvieren die 14 Doktorandinnen und Doktoranden auch ein dreimonatiges Praktikum in einer nicht-akademischen Partnereinrichtung, meist Unternehmen. Auch Gastaufenthalte an den im Netzwerk kooperierenden Partneruniversitäten sind Teil der Ausbildung. Eine der Stellen wird am Institut für Mechatronik der Uni Innsbruck angesiedelt sein.
Innsbrucker Beteiligung
Das Arbeitspaket 2, „Interactions of 1D structures in a 3D world“, leitet Prof. Johannes Gerstmayr vom Institut für Mechatronik der Uni Innsbruck. Dieses Arbeitspaket hat das Ziel, dünne Strukturen (Fasern, Kabel oder Seile) in der Interaktion mit der räumlichen Umgebung zu erforschen. „Dabei sollen vorwiegend numerische Methoden und-Open Source-Codes erarbeitet werden, die es erlauben, Problemstellungen auf ‚Knopfdruck‘ zu lösen, was bis dato nicht möglich ist“, erklärt der Mechatroniker.
Doktorandennetzwerk
Europäische Doktorandennetzwerke sind eine Fördermaßnahme des Marie Skłodowska Curie-Programms der Europäischen Kommission. Ziel ist es, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit den Fähigkeiten auszustatten, die sowohl im wissenschaftlichen als auch im nichtwissenschaftlichen Umfeld einer Karriere förderlich sind. Deshalb sind neben europäischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen auch 13 nicht-akademische Einrichtungen an den Projekten beteiligt. Die Konkurrenz bei der Einwerbung eines Netzwerks ist extrem hoch: Im Jahr 2019 wurden nur 103 der 1.341 begutachteten Projektanträge zur Förderung angenommen.
(MLU Halle/red)