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Das Buch von Martin von Cochem zum Leben Christi, hier in einer Ausgabe in der Bibliothek des Landesmuseums Ferdinandeum.

Best­seller vor 250 Jahren

Der Historiker Michael Span ist Buchbesitz im Pustertal im 18. Jahrhundert auf der Spur. Damit schließt er eine Forschungslücke: Der katholische Raum ist, anders als protestantische Gebiete, bisher in Bezug darauf nämlich noch gar nicht erfasst.

Dan Brown, Wolf Haas, Elena Ferrante, Michael Köhlmeier, Mona Kasten, Bernhard Aichner: Wer in letzter Zeit ein Buch dieser Autorinnen bzw. Autoren gekauft hat, befindet sich in guter Gesellschaft. Sie alle waren 2018 auf diversen österreichischen Belletristik-Bestseller-Listen zu finden. Ob diesen Schriftstellerinnen und Schriftstellern das gleiche Schicksal droht wie ihren Vorgängern von vor rund 250 Jahren – nämlich, in der breiteren Bevölkerung nahezu völlig vergessen zu werden – steht in den Sternen. Fest steht, dass Martin von Cochem, Abraham a Sancta Clara und Martin Prugger als Autoren heute wohl in kaum einer Wohnung zu finden sind. „Vor allem Martin von Cochem wurde sehr breit gelesen. Ein Werk von ihm ist ‚Das Leben Christi‘, das ist in vielen Haushalten zu finden, wir haben insgesamt 81 Bände gezählt“, erklärt Dr. Michael Span. Er widmet sich mit seinen Kollegen Mag. Michael Prokosch, MA und Dr. Peter Andorfer unter der Projektleitung von em. Univ.-Prof. Brigitte Mazohl in einem vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanzierten Projekt dem Buchbestand im Alpenraum zwischen 1750 und 1800. Konkret untersucht wird ein Gebiet um Bruneck im Pustertal in Südtirol, dort ist die Quellenlage entsprechend gut. „Wir ziehen unsere Informationen vor allem aus Verlassenschaftsabhandlungen. Nach dem Tod wurde in Inventaren genau festgehalten, was der oder die Verstorbene besessen hat, da ist häufig auch Buchbesitz erfasst“, erklärt Span.

Lückenschluss

Span und Team schließen damit eine Lücke in der Forschung: Für den katholischen Alpenraum ist Buchbesitz bislang nicht systematisch untersucht, für den protestantisch-pietistischen Bereich, besonders im heutigen Baden-Württemberg, gibt es da schon ausführlichere Erhebungen. „Den Kollegen in Baden-Württemberg hilft die rechtliche Lage, es war nämlich verpflichtend, in mehreren Lebensphasen Inventare anzulegen, zum Beispiel bei einer Heirat. Hier in Tirol sind wir weitestgehend auf die Verlassenschaften angewiesen, was uns aber zum Beispiel nicht sagt, ob nicht vielleicht jemand im Alter von 30 eine Bibliothek besessen hat. Wir haben nur den Besitz zum Zeitpunkt des Todes“, sagt Michael Span. Dabei gilt es nun auch, einige Vermutungen zu bestätigen oder zu widerlegen: Etwa, dass im katholischen Raum generell weniger gelesen wurde. „Diese Vermutungen beruhen auf Untersuchungen des Buchmarkts. Zudem gehörte zu einem guten protestantischen Haushalt zumindest ein Liederbuch, ein Psalmenbuch und die Heilige Schrift, während Katholiken der Besitz einer Bibel in der Volkssprache de facto sogar verboten war.“ Die Bibel sollte nur von Geistlichen gelesen und interpretiert werden. Und die Gegenreformation hatte es auch auf Bücher abgesehen, was den privaten Buchbestand verringert haben dürfte.

Insgesamt kommt der Historiker nach Untersuchung von bisher rund 1500 Inventaren im Pustertal aus der Zeit von 1750 bis 1800 auf – konservativ geschätzt – 2102 Bücher, die in rund 20 Prozent der Quellen enthalten sind. 80 Prozent erwähnen überhaupt keine Bücher. „Das alles ist von einer ganzen Reihe an Unwägbarkeiten geprägt, besonders hinsichtlich der Vollständigkeit der Quellen. Wir zählen zum Beispiel die Angabe ‚einige Bücher‘ immer mit dem Wert Zwei, die tatsächliche Zahl liegt also bestimmt höher. Und ein weiteres Beispiel zur Vollständigkeit: Etwa die Hälfte der Inventare, die klar Einzelpersonen zuzuordnen sind, nennt keine Schuhe. Das ist mir bei der Suche nach Buchbesitz zwar egal, aber die Frage ist: Was fehlt noch?“, erläutert Michael Span. 806 Bücher werden ohne nähere Beschreibung genannt, bei den restlichen liegt der Schwerpunkt aber ganz klar bei Büchern mit religiösem Bezug – etwa Gebetbücher oder eben das erwähnte „Leben Christi“ von Martin von Cochem. „Nicht-religiöse Literatur beschränkt sich auf einige wenige Einzelpersonen. So haben etwa Menschen in Medizinberufen, etwa eine Hebamme, Bader und Chirurgen, medizinische Bücher. Ein ‚Kräuterbuch‘ ist erfasst, eine Person besitzt ein Wörterbuch, ein paar historische Werke, einige besitzen die Tiroler Landesordnung, also das Gesetzbuch, aber das alles hält sich in engen Grenzen. Der weitaus größte Teil hat religiösen Bezug.“

Quellen und Rezeption

Die Bücher selbst sind für die Historiker zwar nachvollziehbar, die meisten sind auch in Bibliotheken noch vorhanden, die konkreten Exemplare finden sich allerdings nicht mehr. „Natürlich wäre gerade die Rezeption dieser Bücher spannend. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob die genannten Personen diese Bücher auch gelesen haben. Weil wir die Bücher nicht haben, sehen wir auch keine Spuren darin – Unterstreichungen, Eselsohren, Hinweise, die uns verraten könnten, wie diese Bücher rezipiert wurden. Die meisten Menschen von damals haben auch so gut wie nichts Schriftliches hinterlassen, keine Aufzeichnungen, die uns etwas über den Buchkonsum verraten würden.“ Um dem dennoch so gut wie möglich auf die Schliche zu kommen, suchen die Historiker auch nach schriftlichen Spuren der ehemaligen Besitzer, etwa Unterschriften, die zeigen, ob die Personen schreiben konnten – das lässt mitunter Rückschlüsse auf die Lesefähigkeit zu, obwohl man weiß, dass Lese- und Schreibfähigkeit nicht zwingend zusammenhängen müssen. „Aufgrund der vielen Unwägbarkeiten hinsichtlich der Quellen gehen wir nun auch mehr auf die Einzelfälle ein. Wir haben zum Beispiel eine Frau, die sieben Bücher von ihrem Vater erbt, und haben aus derselben Zeit, in der sie erbt, einen Vertrag von ihr. Dort unterschreibt sie mit einem Kreuz. Das heißt: Wir können nicht nur nicht verlässlich sagen, ob die Menschen die Bücher, die sie besaßen, gelesen haben, wir wissen nicht einmal, ob sie sie lesen konnten. Solche Dinge erfahren wir über die Einzelfälle.“

Was sich aber jetzt schon ablesen lässt: Der Anteil der Buchbesitzerinnen beziehungsweise Buchbesitzer ist niedriger als in den erwähnten Vergleichsstudien. Das, was wir heute als Belletristik kennen, kommt im Pustertal damals nicht vor – obwohl es natürlich bereits solche Lesestoffe gab –, es sei denn, die nicht näher bezeichneten Bücher fallen in diese Kategorie. Bei Männern ist der Anteil an Buchbesitzern höher als unter Frauen, Frauen in der Stadt besitzen signifikant mehr und häufiger Bücher als auf dem Land. Nach Berufen gibt es keinen besonderen Unterschied. „Interessant ist die sozioökomische Verteilung: Zwar ist es so, dass Buchbesitzer im Schnitt finanziell besser gestellt waren, andererseits gibt es mehrere Personen, die auffällig wenig besaßen, aber eine Vielzahl an Büchern. Bücher als solche waren übrigens auch damals kein Luxusgut, zumindest nicht grundsätzlich – mit Ledereinbänden konnten Bücher sehr teuer sein, ohne Einband waren sie oft billig“, erklärt Michael Span. Bis zum Projektabschluss im Januar 2020 kommen noch rund 500 Quellen vom Oberamtsgericht Bruneck dazu, die Historiker planen auch hier eine detaillierte Erfassung und Aufarbeitung nach Einzelfällen. Alle Daten werden danach offen und kostenlos im Internet verfügbar sein.

Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „zukunft forschung“ erschienen: https://www.uibk.ac.at/forschung/magazin/

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