Reiter, die 2006 in Wien über die Tradierung und Verarbeitung des Nationalsozialismus bei den „Kindern der Täter“ habilitierte, beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem auch mit den Beziehungen zwischen Österreich und Israel oder mit Antisemitismus und Antijudaismus.
In Innsbruck berichtete sie an diesem Mittwoch von ihren Forschungen zur politischen Neuformierung der NationalsozialistInnen nach 1945 und in diesem Kontext konkreter zum „dritten Lager“, welches anfangs den Verband der Unabhängigen (VdU) und später die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) beinhaltete. Reiter betonte auch nochmal die Aktualität des Themas, besonders aufgrund der Frage nach Kontinuitäten der damaligen FPÖ zur heutigen FPÖ und den aktuellen Untersuchungen dazu. Zu Beginn wurde ein genauerer Blick auf den Prozess der Entnazifizierung geworfen, welcher vor allem durch das, von den Volksgerichten durchgesetzte, NS-Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 und das Kriegsverbrechergesetz vom 26. Juni 1946 geprägt wurde. Eine zusätzliche Maßnahme hierbei waren auch Internierungslager, wie das Lager Marcus W. Orr (auch „Glasenbach“) bei Salzburg oder das Lager Wolfsberg in Kärnten.
Im Zusammenhang der Transformierung der Nationalsozialisten zu einer Partei geht es hier um die Gruppe der im Entnazifizierungsprozess Belasteten oder Minderbelasteten, die sich später wieder in das politische Leben einbringen wollten. Hierbei spielt der Begriff „des dritten Lagers“ eine wichtige Rolle. Dieser stellt historisch eine traditionelle liberal-deutschnationale Politikrichtung (neben den zwei anderen Lager der Sozialdemokraten und der Christlich-Sozialen) dar, die sich zu Zeiten der Ersten Republik in Form der Großdeutschen Volkspartei, des Landbundes und der NSDAP manifestierte und sich nach 1945 dann im Verband der Unabhängigen (VdU) und später in der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) zurückmeldete.
Dieser Prozess wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Frage der Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten in das politische Alltagsleben angestoßen. So kam es neben Bemühungen der ÖVP und der SPÖ, diese Wählerschichten für sich zu gewinnen, auch zu der Forderung nach einer vierten Partei, neben den gerade genannten Parteien und der damals noch bestehenden KPÖ. Vorangetrieben wurde dies vor allem durch ehemalige Landbundpolitiker, die sich eine neue bäuerlich-nationale Mittelpartei wünschten. Da sich die Gründung einer solchen Partei angesichts der Besetzungsmächte eher schwierig gestaltete, wurde von Salzburger Journalisten unter der Führung von Herbert Kraus (*1911 in Zagreb; †2008 in Wien) und Viktor Reimann (*1915 in Wien; †1996 ebenda) im Februar 1949 ein Wahlverband, der Verband der Unabhängigen (VdU), gegründet. Dieser Wahlverband durfte auch offiziell an Wahlen teilnehmen, hatte aber nicht den Status einer offiziellen Lizenzpartei und musste somit nicht von den Alliierten genehmigt werden.
Kraus und Reimann sprachen damit gezielt sogenannte „Entnazifizierungsopfer“ an, indem sie sie als Entrechtete ansprachen und bewusst ein Vergleich der NS-Zeit mit der Nachkriegszeit aufstellten. Darauffolgende Nazivorwürfe wies Kraus zurück und sorgte gleichzeitig für eine Abgrenzung von Neonazismus und Pangermanismus. Gleichzeitig spielten Belastete jedoch weiter eine Rolle in der VdU oder waren im Hintergrund tätig. In der „Schlammschlacht“ des Wahlkampfes 1949 versuchten die Volksparteien dieses freie Wählerpotential der ehemaligen Nationalsozialisten entweder für sich zu gewinnen oder von der Konkurrenzpartei fern zu halten. So versuchte die ÖVP den ehemaligen Nationalsozialisten beispielsweise durch Amnestien oder Kooperationen entgegenzukommen, während die SPÖ das Entstehen einer vierten Partei unterstützte, um möglichst das bürgerlich-konservative Lager in 2 Teile zu spalten und somit die Mehrheit der ÖVP zu durchbrechen. Am meisten kämpfte jedoch der VdU für diese Stimmen und zog so schlussendlich auch mit 11,6 Prozent und 16 Abgeordneten ins Parlament ein.
Anfang der 1950er Jahre kam es dann zu einem Paradigmenwechsel unter dem späteren FPÖ-Gründer Anton Reinthaller (*1895 in Mettmach, OÖ; †1958 ebenda), den man als „gemäßigten Nationalsozialisten“ bezeichnen könnte. Dieser Richtungswechsel war mit internen Auseinandersetzungen verbunden und sorgte für ein Wiedererstarken des nationalen Lagers. Nach der Gründung der FPÖ 1955/56 zog sich VdU-Gründer Kraus aus der Partei zurück und kritisierte die FPÖ stark als „kleinen Kreis Rechtsextremer und NS-Führer“. Allgemein gab es jedoch viele personelle und ideologische Kontinuitäten zwischen VdU und FPÖ. Mit dem Ende der Entnazifizierung setzte sich die neue Partei dann mehr für die Rehabilitierung von Betroffenen ein.
Nur kurz später verstarb Reinthaller überraschend und mit dem 36-jährigen Friedrich Peter übernahm ein ehemaliges SS-Mitglied die Partei. Seine Vergangenheit brachte ihm dabei aber statt Kritik eher Respekt ein und wurde schließlich erst 1975 zum Thema als gezielte Massenmorde der SS in der Gesellschaft diskutiert wurden. Peter leugnete von Anfang seine Beteiligung. Schlussendlich war danach bei ihm auch eine Art Läuterungsprozess zu erkennen und er trieb die Liberalisierung der Partei voran, welche aber spätestens mit dem Auftreten Jörg Haiders scheiterte. Peter, im Clinch mit Haider, trat schließlich aus der FPÖ aus.
Die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in die politische Parteienlandschaft ist als eine wichtige, aber auch sehr herausfordernde Aufgabe in der Nachkriegszeit anzusehen. So befand sich das Land, wie Reiter in ihrem Vortrag klar darlegte, immer in einem Dilemma zwischen der Möglichkeit der politischen Teilhabe aller Bürger und der Eingrenzung nationalsozialistischen Gedankenguts bei den politischen Akteuren. Damit wurde eine Thematik behandelt, die sowohl historisch eine entscheidende Rolle spielte als auch durch die politische Lage der Gegenwart, eine aktuelle Relevanz besitzt.
(Simon Weniger)