Bei der St. Nikolauskirche aus 12. Jahrhundert mit ihrer für den Alpenraum einzigartigen Doppelchoranlage und der reichen romanischen Freskenausstattung handelt es sich um den ältesten erhaltenen Kirchenbau in Osttirol. Die Kirche liegt vom heutigen Siedlungskern isoliert auf einer Terrasse auf 1035 m Seehöhe über dem Weiler Ganz an der südwestlichen Seite des Matreier Talkessels. Am Vorplatz westlich der Kirche konnten Archäologen des Instituts für Archäologien der Universität Innsbruck unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Harald Stadler bereits Mitte der 1990er Jahre die Reste einer Vorgängerkirche aus dem 9./10. Jahrhundert sowie ein zugehöriges Gräberfeld freilegen. Auch ergaben sich Hinweise auf eine Nutzung des Platzes schon in römischer Zeit. 2007–2008 konnte im Zuge weiterer Grabung ein dritter Kirchenbau entdeckt werden. Nach über 11 Jahren wurden die Arbeiten im heurigen März wieder aufgenommen. Den Forschern unter der Leitung von assoz.-Prof. Mag. Dr. Florian Müller ging es in diesem Jahr darum, die fehlenden Mauerstücke des Langhauses der beiden Kirche auszugraben. Die Arbeiten fanden dabei im Zuge eine Lehrgrabung der Universität statt, d.h. junge Studierende konnten dabei auch archäologische Grabungspraxis sammeln. Die vermuteten Mauern sowie die Reste des noch original erhaltenen Estrichfußodens der Kirchen wurden auch bereits wenige Zentimeter unterhalb der schmalen an der St. Nikolauskirche vorbeiführenden Schotterstraße entdeckt.
Zur großen Überraschung der Archäologen kamen aber in tieferen Schichten unterhalb der Kirchen massive Fundamentmauern zum Vorschein, die von einem rechteckigen römischen Grabbau stammten. Bereits bei den älteren Grabungen konnte in diesem Bereich eine Urnenbestattung des 2. Jahrhunderts nach Christus freigelegt werden. „Trotz der reichen Funde aus römischer Zeit im Bereich der Römerstadt Aguntum östlich von Lienz handelt es sich dabei um den bislang einzigen bekannten römischen Grabbau in Osttirol“ berichtet Müller. Es dürfte wohl auch kein Zufall sein, dass die Fundamente der beiden frühmittelalterlichen Kirchen das Areal des römischen Begräbnisplatzes überdeckten. Den über 1.800 Jahre andauernden Zeitraum der Nutzung des Platzes der St. Nikolauskirche seit der römischen Epoche belegen aber neben zahlreichen Keramik- und Glasscherben, Eisennägeln, einer bronzenen Gürtelschnalle und vier Münzen aus dem Mittelalter auch Fragmente römischer Amphoren sowie Reste einer bronzenen Gewandnadel. Der Osttiroler Raum war im 6. Jahrhundert n. Chr. bereits christianisiert. Ausgehend vom spätantiken Bischofssitz Aguntum erfolgte die christliche Organisation, die durch archäologisch erschlossene Kirchenbauten in Lavant-Kirchbichl, St. Andrä, Patriasdorf und Oberlienz bezeugt ist, während für die nördlichen Seitentäler in dieser Hinsicht bislang noch kein Nachweis gelang.
(Florian M. Müller)