Blühende Wiesen
Biologische Vielfalt in der Landwirtschaft. Laut den Forschern schwächen die EU-Reformpläne den Umweltschutz.

EU-Landwirtschaft nicht zukunftsfähig

Die aktuellen Reformvorschläge der EU-Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik lassen keine Verbesserungen beim Umweltschutz erwarten. Dies konstatiert ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Christian Schleyer vom Institut für Geographie in der Fachzeitschrift Science.

174 Millionen Hektar, 40 Prozent der gesamten Fläche, werden in der EU landwirtschaftlich genutzt – in Österreich liegt der Anteil bei etwa 38 Prozent. Die Intensivierung der Landnutzung ist laut Weltbiodiversitätsrat IPBES die Ursache Nr. 1 für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Von dieser Vielfalt hängt maßgeblich das Wohlergehen der Menschen ab.
Die Europäische Union, und damit auch Österreich, haben sich in verschiedenen internationalen Abkommen zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zum Schutz der Biodiversität und des Klimas verpflichtet. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union ist dabei eines der wichtigsten Politikfelder, um diese internationalen Verpflichtungen umzusetzen. „Doch gerade hier ist wenig von dieser Absicht zu erkennen“, kritisiert ein Forscherteam um Dr. Christian Schleyer vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck.

Die Forscher haben den aktuellen Reformvorschlag der EU-Kommission zur GAP nach 2020 analysiert. Dabei standen drei Fragen im Vordergrund: Ist der Reformvorschlag mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs – Sustainable Development Goals) vereinbar, reflektiert er die gesellschaftliche Diskussion über die Landwirtschaft und bringt er eine Verbesserung der GAP? Grundlage war eine umfassende Literaturstudie von rund 450 Publikationen, welche die aktuelle GAP nach Kriterien wie Effektivität, Effizienz und Relevanz bewerten. Ihr Ergebnis: Die neuen Vorschläge stellen einen klaren Rückschritt gegenüber den bisherigen Regelungen dar.

Direktzahlungen wirkungslos

„Sollte die EU es mit ihrer Verpflichtung auf die SDGs ernst meinen, müssten diese sich auch in der Landwirtschaftspolitik wiederfinden und entsprechende Indikatoren zur Erfolgsmessung definiert werden“, sagt der Ökologe Dr. Guy Pe’er vom Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). „Das ist nicht der Fall.“ Dabei hätte die GAP laut der Forscher das Potenzial, zur Erreichung von mindestens neun der siebzehn SDGs beizutragen. Derzeit trage sie nur zur Erreichung von zwei SDGs bei.

Die Forscher kritisieren darüber hinaus, dass die EU Instrumente erhalten wolle, die sich nachweislich als ineffizient, klima- und umweltschädlich sowie sozial ungerecht herausgestellt hätten. Ein Beispiel sind die Direktzahlungen im Rahmen der sogenannten Säule 1 der GAP. Rund 40 Mrd. Euro (ca. 70 Prozent des GAP-Budgets) bekommen Landwirte allein auf Grundlage der bewirtschafteten Fläche. Dies führt zu einer ungleichen Förderung: 1,8 Prozent der Empfänger bekommen 32 Prozent des Geldes. „Für diese 1992 provisorisch eingeführten Ausgleichszahlungen fehlt inzwischen jede wissenschaftliche Begründung“, sagt Agrarökonom Dr. Sebastian Lakner von der Universität Göttingen. Die Direktzahlungen tragen nach Analyse der Forscher auch wenig zum Erreichen gesellschaftlicher Ziele bei.

Diese Kritik ist nicht neu und wurde von der EU 2010 mit dem sogenannten „Greening“ der Direktzahlungen aufgegriffen. Die entsprechenden Auflagen seien jedoch politisch aufgeweicht worden und hätten sich als weitgehend wirkungslos erwiesen, so die Forscher.

Doch die EU-Kommission will an den Direktzahlungen festhalten und bietet als Reaktion auf die breite Kritik eine „Grüne Architektur“ an. Diese umfasst eine Ausweitung der Kriterien der „Guten landwirtschaftlichen Praxis“ sowie neue freiwillige Umweltschutzmaßnahmen in Säule 1. Außerdem wurde ein Teil des GAP-Budgets als klimafreundlich definiert. Laut den Forschern fehlen aber geeignete Maßnahmen für einen effektiven Klimaschutz.
Mit Säule 2 will die EU Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sowie die Entwicklung ländlicher Räume fördern. Diese Säule soll künftig jedoch erheblich gekürzt werden, obwohl ihr Volumen schon heute nur rund ein Zehntel von Säule 1 betrage.

Den Grund für die Umweltdefizite sehen die Forscher in einem unausgewogenen Reformprozess, der mächtigen Lobbyverbänden weitgehende Einflussmöglichkeiten eröffne und wichtige Akteure aus Wissenschaft und Gesellschaft ausschließe.

„Der EU fehlt offensichtlich der Wille, der öffentlichen Forderung nach einer nachhaltigen Landwirtschaft nachzukommen und ihre mitbeschlossenen globalen Umwelt- und Entwicklungsziele umzusetzen“, so Pe’er. „Lobby-Interessen wiegen nicht nur schwerer als Fakten, sondern auch schwerer als der öffentliche Wille.“ Laut einer EU-Umfrage bescheinigen 92 Prozent der befragten Bürger und 64 Prozent der Landwirte der EU-Kommission zu wenig Engagement im Umwelt- und Klimaschutz in der GAP.

Eine effektive Maßnahme zur Korrektur der GAP sehen die Forscher in der Einstellung der Direktzahlungen. Stattdessen solle Säule 2 gestärkt und Maßnahmen unterstützt werden, die sich als förderlich für das Erreichen der SDGs erwiesen hätten. „So könnten beispielsweise die Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in Säule 2 viel stärker auf die Landschaftsebene ausgerichtet und gezielt betriebsübergreifende Maßnahmen gefördert werden“ ergänzt Ressourcenökonom Christian Schleyer von der Universität Innsbruck.

Eine große Chance, den Reformprozess im Sinne der Bevölkerung und der internationalen Verpflichtungen zu gestalten, sehen Pe’er und Lakner im neu gewählten EU-Parlament: „Es gibt ausreichend wissenschaftliche Evidenz darüber, was im Umweltbereich getan werden muss. Es sollte im Interesse der EU-Kommission liegen, dass Steuermittel in der Landwirtschaft effizient und zielgerichtet eingesetzt werden“, sagt Sebastian Lakner. Unumgänglich hierfür sei ein echter Reformprozess, der alle betroffenen Interessensgruppen gleichermaßen einbeziehe und wissenschaftliche Befunde berücksichtige.

Die finale Runde der GAP-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Europäischem Rat und EU-Parlament beginnt voraussichtlich im Herbst.

Links

Nach oben scrollen