Mit dem 16. März 2020 wurde der Präsenzunterricht an allen Schulformen österreichweit eingestellt und auf Distanzunterricht umgestellt. Die damit verbundenen Herausforderungen waren und sind für die Schulen enorm: Innerhalb kürzester Zeit musste das komplette schulische Angebot umgestellt werden. Wie strategisch gingen die einzelnen Schulen in dieser Ausnahmesituation vor? Wie wurde der Distanzunterricht innerhalb der eigenen Schule wahrgenommen? Das untersuchen Livia Jesacher-Rößler und Esther Dominique Klein von der Arbeitsgruppe für Schulentwicklungsforschung und Leadership am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung im Projekt „COVID-19 – Herausforderungen und Chancen für die Schulentwicklung“. Das Projekt ist Teil einer trinationalen Studie mit Kolleginnen aus der Schweiz (Zürich) und Deutschland (Nordrhein-Westfalen). Neben einer Dokumentenanalyse behördlicher Informationen beinhaltet das Projekt eine quantitative Online-Befragung von Schulleiter_innen. Nun wurden die Ergebnisse der Teilstudie „Strategien der Schulentwicklung in der Krise“ veröffentlicht: „Wir haben im Juni und Juli 2020 eine Online-Befragung an allgemeinbildenden und berufsbildenden öffentlichen Schulen aus allen österreichischen Bundesländern durchgeführt. Etwa 50 Prozent der teilnehmenden Schulleiter_innen sind an einer Volksschule tätig, ein Drittel an einer Neuen Mittelschule, der Rest verteilt sich auf weitere Schulformen. Zwei Drittel stammen aus dem ländlichen Raum. Die Beteiligung war erfreulich hoch und so konnten wir 532 Onlinefragebögen analysieren“, erklären die Studienleiterinnen Jesacher-Rößler und Klein.
Anforderungen aufrechterhalten, individuelle Kommunikationswege
Eines der zentralen Ergebnisse sehen die Schulforscherinnen im klaren Ziel der Mehrheit der Schulen, die Standards in der Bildung trotz der Ausnahmesituation aufrechtzuerhalten: „Wir sehen in den Rückmeldungen der Schulleiter_innen eindeutig, dass ein Herunterfahren der Anforderungen im Hinblick auf den Schulstoff und die Unterrichtsinhalte abgelehnt wurde.“ Die Strategien, die zur Umsetzung dieses Ziels entwickelt wurden, wurden meist fach- oder jahrgangsweit abgestimmt, wobei Kooperationsstrukturen innerhalb der Lehrer_innen-Kollegschaft auch während der Schulschließung aufrecht erhalten blieben. Kritischer betrachten die beiden Forscherinnen den Bereich der Professionalisierung, wo sich ein weniger systematisches Vorgehen der Schulen zeigte: „Um die Lehrkräfte auf die vielfach neue Situation vorzubereiten, wurden durch die Schulleitungen vor allem Informationsmaterialien ausgegeben, daneben haben sich die Lehrerinnen und Lehrer vor allem individuell Fortbildungen zu den verschiedenen Themen des Distanzunterrichts gesucht. Um sich über den Stand im Distanzunterricht zu informieren, nutzten die Schulleiter_innen außerdem fast nur individuelle Kommunikationswege mit Lehrkräften und auch den Eltern, und kaum systematischere Befragungen“, entnehmen Livia Jesacher-Rößler und Esther Dominique Klein den Fragebögen.
Positive Wahrnehmung, Herausforderung Infrastruktur
Der Großteil der Schulleiter_innen nahm die Thematisierung und den Umgang ihrer Lehrkräfte an den jeweiligen Schulen in Österreich als eher positiv wahr. „Die Lehrpersonen standen laut Angaben der Schulleitung sowohl inhaltlichen oder methodischen Themen als auch dem Austausch mit ihren Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten positiv gegenüber. Negative Erfahrungen wurden vor allem in Hinblick auf die Infrastruktur berichtet. Insgesamt können wir festhalten, dass das Lernen und Lehren mit digitalen Medien und die damit zusammenhängenden pädagogisch-didaktischen Fragen als weniger herausfordernd wahrgenommen wurden als der Umgang mit der Situation rund um die technische Ausstattung“, betonen die Schulforscherinnen. „Kooperation mit Eltern bzw. Erziehungsberechtigten“ oder „Umgang mit Belastung“ wurden laut den Studienautor_innen thematisch deutlich weniger häufig im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen adressiert als Themen den Unterricht und den Umgang mit digitalen Medien betreffend.
Unterschiede je nach Schulform und sozialräumlichen Aspekten
Die Strategien im Umgang mit dem Distanzunterricht variieren je nach Schultyp, besonders die Neuen Mittelschulen stechen hier hervor: „Dort wurden die Distanzunterricht-Strategien deutlich häufiger schul-, fach- und jahrgangsweit abgestimmt als in anderen Schulformen und insgesamt als positiv wahrgenommen. Gerade bei Volksschulen zeichnete sich ein etwas anderes Bild ab: Volksschulleiter_innen schätzten die Situation signifikant weniger positiv ein und sahen deutlich höhere Herausforderungen beim Lernen und Lehren mit digitalen Medien.“ Die Rückmeldungen von Schulleiter_innen an sozialräumlich benachteiligten Standorten machten auch deutlich, dass die Situation von diesen anders wahrgenommen wurde. „Schulleiter_innen an sozial stark benachteiligten Standorten trauten ihren Schüler_innen und deren Eltern weniger zu, mit dem Distanzunterricht zurechtzukommen. Sie tendierten deswegen eher dazu, die Anforderungen herunterzufahren. Hier müssen die Schulen aufpassen, dass sie durch die geringen Erwartungen an ihre Schüler_innen nicht mit dazu beitragen, dass diese im Distanzunterricht abgehängt werden“, betonen die Schulforscherinnen.
Die Ergebnisse sind Teil einer großangelegten Studie, die in den nächsten Monaten durch Dokumentenanalysen (behördliche Informationsschreiben) sowie vertiefte Interviews mit relevanten Akteuren des österreichischen Bildungssystem (Schulaufsicht, Fort- und Weiterbildner_innen sowie Eltern bzw. Erziehungsberechtigte) noch weitergeführt werden wird.