In ihrer Begrüßung beschrieb die Leiterin des Frankreich-Schwerpunkts, Prof. Eva Lavric, die Laïcité als „eine sehr französische Besonderheit, die neben Liberté, Égalité, Fraternité als viertes Prinzip der Republik in der politischen Kultur Frankreichs eine für uns nicht immer verständliche und nachvollziehbare Rolle spielt.“
Wie war es zu der Idee dieser Veranstaltung gekommen? Am Anfang stand, wie so oft, eine Studierende: Mag. Petra Juen, die ihre Diplomarbeit über die Laïcité an Frankreichs Schulen geschrieben hatte, wie sie sie während ihres Sprachassistenzjahres in der Bretagne hautnah erlebt hatte. Für diese Arbeit hatte Petra Juen den Frankreich-Preis 2018 bekommen, und bei der Verleihung dieses Preises hatte sich, bei Wein und Brötchen, zwischen ihrer Betreuerin, Prof. Martina Kraml, Prof. Eva Lavric vom Frankreich-Schwerpunkt und dem Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, Prof. Josef Quitterer, ein Gespräch ergeben, bei dem die Idee der Veranstaltung geboren wurde.
Als Gastvortragende konnte Frau Prof. Dr. Sylvie Le Grand-Ticchi gewonnen werden, eine Germanistin von der Universität Paris Nanterre, die als Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin schon etliche Publikationen zur Laïcité, oft vergleichend zwischen Frankreich und Deutschland, herausgebracht hat.
Die Diskussion brachte sehr vielfältige Beiträge aus der Perspektive der verschiedensten Disziplinen; als Moderatorin fungierte Frau Prof. Dr. Brigitte Mazohl vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäischer Ethnologie.
Einen wichtigen Impuls gab die schon erwähnte Mag. Petra Juen, inzwischen Mitarbeiterin und Dissertantin am Institut für Praktische Theologie im Bereich Religionspädagogik. Sie berichtete folgende Beobachtung: In einer Deutschstunde an einer Schule in der Bretagne hatte die Lehrerperson ganz nebenbei ihre Religionszugehörigkeit erwähnt. In der letzten Reihe diskutierten daraufhin zwei Schülerinnen heftig darüber, ob sie das überhaupt tun dürfe: Die eine meinte, das widerspreche dem Prinzip der Laïcité, also der religiösen Neutralität des Staates; die andere entgegnete, die Lehrperson dürfe sehr wohl ihr religiöses Bekenntnis preisgeben, sie dürfe allerdings auf keinen Fall die SchülerInnen missionieren.
Als zweite Rednerin betonte Prof. Dr. Sylvie Le Grand-Ticchi die Vielschichtigkeit des Begriffs „Laïcité“, der seit seiner Prägung im 19. Jahrhundert (Troisième République) vor allem die weltanschauliche Neutralität des Staates bezeichnet und sich zuallererst exemplarisch im Bereich der Schule konkretisiert hat. Es gehe also um einen säkularen Staat im Gegensatz zu dem lange mit der Monarchie assoziierten Klerikalismus. Mit Antiklerikalismus war aber nicht unbedingt eine antireligiöse Haltung verbunden, im Gegenteil, wie das Beispiel der Gründungsväter der Schulreform um Jules Ferry zeigt. Heute merkt man, dass die ausufernde Interpretation des Begriffs durch JournalistInnen oder BildungspolitikerInnen zu Missverständnissen führt, die eine Verunsicherung der SchülerInnen und eine Verkrampfung der Diskussion zur Folge haben.
Der nächste Redner war Prof. Dr. Roman Siebenrock vom Institut für Systematische Theologie, Koordinator des Forschungsschwerpunkts „Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung“. Er betonte, dass die katholische Kirche in Frankreich die Laïcité inzwischen internalisiert und beim Zweiten Vatikanischen Konzil die Anerkennung der Religionsfreiheit als Verfassungsrecht als eigene Aufgabe übernommen habe. Die Säkularität des Staates sei eine der größten Errungenschaften des Westens. Im Sinne von Papst Johannes XXIII. betonte er: „Ich als Katholik kann für meine Freiheit nur eintreten, wenn ich gleichzeitig für die Freiheit aller anderen eintrete. Wenn das der Kern der Laïcité ist, bin ich dafür!“ Doch diese wurde und wird nicht nur von religiösen Akteuren, sondern auch von nicht-religiösen Ideologien bedroht, die Vögelin „politische Religionen“ nannte. Die nicht nur für Europa gefährlichste ist aus der Französischen Revolution selbst erwachsen: der Nationalismus.
Schließlich kam der bekannte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Anton Pelinka zu Wort, der neben Professuren an der Universität Innsbruck und an der Central European University in Budapest das Institut für Konfliktforschung in Wien geleitet hat und nun als Universitätsrat an der Universität Innsbruck wirkt. Er unterschied zwischen der rechtlichen Trennung von Kirche und Staat einerseits und der mehr oder weniger großen Bedeutung des Religiösen in der Politik andererseits: In staatsrechtlicher Hinsicht sei die Laïcité sowohl in Europa als auch in den USA weitestgehend verwirklicht, im Alltagsleben und im politischen Diskurs gebe es aber große Unterschiede, da in den USA religiöse Motivationen in der Politik eine bedeutende Rolle spielen.
In der darauffolgenden Diskussion mit reger Publikumsbeteiligung ging es auch um die Rolle des Islam und das Modell des konfessionellen Staates, wie es in der arabischen Welt verbreitet ist. Eine Stellungnahme dazu kam von Prof. Dr. Zekirija Sejdini, dem Leiter des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck: Er erinnerte daran, dass Einschränkungen wie das Konversionsverbot und Diskriminierungen religiöser Minderheiten in der Regel mit einem diktatorischen Regime einhergingen, das Menschenrechte generell – nicht nur in religiöser Hinsicht – missachte.
Die Schlussrunde der PodiumsteilnehmerInnen brachte einen überraschenden Konsens durch eine von Prof. Sylvie Le Grand-Ticchi eingebrachte und von Prof. Anton Pelinka aufgegriffene Dimension: Die Gastvortragende beschrieb die Besonderheit der französischen Laïcité damit, dass sie immer wieder leidenschaftlich diskutiert und heraufbeschworen wird. In gewisser Weise beobachte man eine Rückkehr des Verdrängten. Bei der wachsenden Verkrampfung der Debatte in einem tragischen Kontext appellierte sie an mehr Gelassenheit und einen lockereren Umgang sowohl mit Laïcité als auch mit Religion. Die Rückbesinnung auf die liberalen Ursprünge der Laïcité könnte diesbezüglich hilfreich sein. Prof. Pelinka brachte daraufhin das Beispiel der Sikhs in Großbritannien, einer religiösen Minderheit, bei der die Männer die Haare nicht schneiden dürfen und daher einen Turban tragen; dadurch können sie keinen Helm aufsetzen. Trotzdem seien die Sikh eine der Stützen der britischen Armee und Polizei, weil für sie bei der Kopfbedeckung ganz einfach, mit britischer Gelassenheit, eine Ausnahme gemacht werde …
(Eva Lavric und Vortragende)