„Unsere Gesellschaft ist derzeit in einem nicht-nachhaltigen Zustand gefangen, in dem wir sehr stark von der Verbrennung fossiler Energieträger abhängig sind. Machen wir weiter so wie bisher, wird es ziemlich ungemütlich“, erklärte Studien-Koautorin Franziska Allerberger von der Universität Innsbruck. Da inzwischen die Zeit davonlaufe, müsse sich ziemlich schnell und drastisch etwas verändern. „Die sechs von uns identifizierten gesellschaftlichen Kippmechanismen können Auslöser für diese erforderlichen raschen, tiefgreifenden Veränderungen sein“, so Allerberger.
Die Wissenschaftler um den ehemaligen Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, haben für die Studie weltweit Wissenschaftler befragt und aus deren Vorschlägen die aus ihrer Sicht aussichtreichsten Kandidaten ausgewählt:
ENERGIEERZEUGUNG: Hier müsste der Trend weg von fossilen Brennstoffen gehen. Dabei ist vor allem die Politik gefordert: 2015 waren die Subventionen für Kohle, Erdöl und Erdgas noch mehr als doppelt so hoch wie die Subventionen für erneuerbare Energien. Außerdem empfehlen die Forscher einen Umbau der Energieversorgung von zentralen Kraftwerken hin zu dezentraler Energiegewinnung, etwa durch Solar- und Windkraft.
STÄDTE: Direkte und indirekte Emissionen von Gebäuden summieren sich weltweit zu 20 Prozent des Treibhausgasausstoßes. Die Wissenschaftler schlagen große Demonstrationsprojekte vor, in denen auch klimafreundliches Bauen gezeigt werden könnte. So könne ein großes Gebäude, das zu 80 Prozent aus laminiertem Holz errichtet werde, Tausende Tonnen Kohlendioxid (CO2) vermeiden. Auch in der öffentlichen Infrastruktur von Städten besteht den Forschern zufolge ein großes CO2-Einsparpotenzial.
FINANZSYSTEM: Wenn Investoren befürchten müssten, dass sich ihr Engagement bei fossilen Brennstoffen nicht mehr rentiert, könnten sie ihre Gelder aus dieser Branche abziehen. „Simulationen zeigen, dass nur neun Prozent der Investoren das System kippen könnten, was andere Investoren dazu veranlasst, dem zu folgen“, schrieben die Forscher. Es gebe bereits Anzeichen für einen Wendepunkt, nämlich Kürzungen bei der finanziellen und versicherungstechnischen Unterstützung von Kohleprojekten.
NORMEN UND WERTE: Die Gewinnung und Nutzung fossiler Brennstoffe ist den Forschern zufolge "wohl unmoralisch". Denn solches Handeln verursache weitestgehend schwerwiegende und unnötige Schäden. „Das Bewusstsein für die globale Erwärmung ist hoch, aber die gesellschaftlichen Normen zur grundlegenden Veränderung des Verhaltens sind es nicht“, so Ko-Autor und PIK-Direktor Johan Rockström. Dies gelte es zu ändern. „... längerfristig ist wohl ein neues soziales Gleichgewicht erforderlich, in dem der Klimaschutz als soziale Norm anerkannt wird.“
BILDUNGSSYSTEM:„Nachhaltigkeit kann nicht auferlegt werden, sie muss gelernt werden“, schrieben die Studienautoren. Deshalb plädieren sie dafür, in deutlich höherem Maße als heute eine umwelt-und klimabewusste Lebensweise in den Schulunterricht einzubeziehen. Qualitativ hochwertige Bildung unterstütze und erweitere Normen und Werte und könne schnell zu Verhaltensänderungen bei Einzelpersonen und ihren Kohorten führen, betonen die Wissenschaftler.
VERBRAUCHERINFORMATIONEN: Wichtig für einen gesellschaftlichen Wandel sind nach der Einschätzung der Forscher auch Informationen für die Verbraucher. Unter den analysierten Vorschlägen waren auch Angaben über den Ausstoß von Treibhausgasen zur Herstellung eines Produkts auf jeder Packung, ähnlich wie die Nährwertangaben bei Lebensmitteln. „Es sollte den Menschen einfach gemacht werden, einen klimaneutralen Lebensstil zu führen“, sagt Rockström.
Allerberger betont, dass man diese Kippmechanismen nicht einzeln betrachten könne. Sie würden sich gegenseitig beeinflussen und könnten sich in ihrer Wirkung verstärken. Damit werde es wahrscheinlicher, rasch aus dem nicht-nachhaltigen Zustand herauszukommen. Entscheidend sei jetzt, dass Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen gemeinsam mit Politikern, Vertretern von NGOs und der Wirtschaft sowie vor allem auch mit jungen Menschen konkrete Wege erarbeiten, wie eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung konkret und sozial gerecht gestaltet werden kann. „Letztendlich zählen aber Handlungen und nicht die bloße Beschreibung von Möglichkeiten.“
(Red./APA Science)