Kreislaufwirtschaft Interview
Anke Bockreis, Professorin für Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement und Martin Stuchtey, Professor für Ressourcenstrategie und -management und geschäftsführender Gesellschafter von SYSTEMIQ forschen für eine nachhaltige Zukunft.

Eliminate, Innovate, Circulate

Im Interview sprechen Anke Bockreis und Martin Stuchtey über ihre Forschung zur Kreislaufwirtschaft und möglichen Maßnahmen zur Beseitigung von Plastikmüll. Möglichkeiten der Plastikverschmutzung der Meere zu begegnen, hat Martin Stuchtey mit einem internationalen Team vergangenes Jahr auch im Fachmagazin Science präsentiert.

Herr Stuchtey, in einer kürzlich veröffentlichten Studie im renommierten Fachjournal Science zeichnen Sie ein düsteres Bild. Demnach würden trotz massiver Anstrengungen 2040 jährlich noch mehr als fünf Millionen Tonnen Kunststoff in die Ozeane gelangen. Ist es bereits zu spät, um zu handeln?

Stuchtey: Es ist nie zu spät, um ins Handeln zu kommen. Es ist aber wichtig, sich mit der Ausgangslage vertraut zu machen. Die ist in der Tat sehr herausfordernd, wenn nicht gar dramatisch und vielen unbekannt. Die Kunststoffindustrie ist ein weltweiter Wachstumsmotor. Wir müssen damit rechnen, dass sich die Produktion bis 2040 verdoppelt. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird sich die Menge an Kunststoff, die in Ökosysteme entweicht, bis 2040 auf rund 29 Millionen Tonnen jährlich verdreifachen.

Was sollte man Ihrer Meinung nach tun?

Stuchtey: Das Problem ist komplex: Die Kunststoffindustrie ist sehr groß, sie ist ein internationales Wertschöpfungssystem und sie ist zutiefst in unserem Konsumverhalten verwoben. Die gute Nachricht ist, dass es bereits mit heutiger Technologie und ohne massive ökonomische Einschränkungen möglich wäre, den derzeitigen Eintrag in die Umwelt drastisch zu reduzieren. Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen und durch Innovation bessere Materialien, bessere Entsorgungssysteme und eine bessere digitale Nachverfolgung von Materialströmen schaffen. 

Frau Bockreis, ihr Forschungsschwerpunkt umfasst neben der Abfallbehandlung auch die nachhaltige Verwertung und die Vermeidung von Abfällen. Woran arbeiten Sie derzeit, um das Problem „Plastik“ in den Griff zu bekommen?

Bockreis: Wir arbeiten an Projekten, die ein Bewusstsein dafür schaffen, was für ein massives Problem mit unserem unbekümmerten Plastikverbrauch einhergeht. Das fängt bei den Einwegbechern an, die wir alleine in Innsbruck jeden Tag in der Höhe des Patscherkofels ansammeln. Für das Land Tirol führen wir gerade eine Studie durch, um ein Mehrwegbechersystem einzuführen. Denn obwohl wir in Österreich ein funktionierendes Entsorgungssystem haben, landet trotzdem vieles noch in der Umwelt. 

Wie kann man diesem Problem großflächiger entgegentreten?

Bockreis: Momentan ist in Österreich die Debatte um das Einwegpfand entbrannt, wie es das etwa schon seit Jahren in Deutschland gibt. Ich spreche mich klar dafür aus, um künftig die Recyclingziele der EU zu erreichen. Man merkt in dieser Diskussion aber stark das Lobbying der betroffenen Industrien, die darunter leiden würden. Das PET, um das es hauptsächlich geht, ist ein sehr hochwertiges Plastik. Recyclingunternehmen haben Angst, dass sie ohne PET nur noch den schlechter zu verwertenden Kunststoff und dadurch enorme Umsatzeinbußen hätten. Große Konzerne wie etwa Coca-Cola versuchen außerdem, durch gezielte Maßnahmen ihr Image aufzubessern, um sich davon freizukaufen, dass sie eigentlich einer der Hauptverursacher dieses Abfallstroms sind. Da muss man viel mehr Bewusstsein schaffen, wie sorglos wir in unserem Leben, auch aus Bequemlichkeit, mit Plastik umgehen.

Ist also nicht Kunststoff selbst, sondern nur unser Umgang damit das Problem?

Bockreis: Man darf trotz allem nicht außer Acht lassen, dass Plastik auch immense Vorteile hat. Gerade, wenn man an Hygienevorschriften oder den Gesundheitssektor denkt. Da wird es auch in Zukunft nicht ohne Plastik gehen. Wenn alles eingesammelt und entsprechend aufbereitet und recycelt werden könnte, dann würde man auch die Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren.

Stuchtey: Wir müssen unser Verhältnis zu diesem Werkstoff total überdenken. Nach dem Motto: Eliminate, Innovate, Circulate. Das Gute ist, dass es Reduktionsmöglichkeiten „Eliminate“, die sowohl wirtschaftlich als auch für den Kunden attraktiv sind, bereits gibt: Aus Plastikprodukten macht man statt einem Verbrauchs- einen Gebrauchsgut – Wiederverwendbarkeit statt Einmalnutzung. Wir müssen ferner erreichen, dass vieles, was heute als Single-Use-Plastik angeboten wird, in Zukunft aus alternativen Materialien besteht. Was dann noch übrigbleibt, sollte aus Sekundärrohstoffen gefertigt werden. Das wäre eine nachhaltige „Circular Plastic Economy“.

Wo muss man ansetzen, um einen Systemwandel hin zu einer solchen Kreislaufwirtschaft herbeizuführen?

Bockreis: Es wäre wichtig, dass die Sekundärkunststoffe sich von den Primärkunststoffen preislich abheben, etwa über eine deutliche Besteuerung von Primärkunststoffen. Die EU plant bereits Maßnahmen: Ab 1. Januar 2021 soll eine Kunststoffsteuer für alle nicht-recycelten Verpackungen eingeführt werden. Diese muss auf Länderebene dann aber auch auf die Kunststoffproduzenten umgelegt werden, um eine Steuerungswirkung zu erreichen. Man darf gespannt sein, wie das ausgeht.

Stuchtey: Es gibt eine Reihe von Instrumenten, um das evidente Marktversagen, das wir aktuell am Kunststoffmarkt haben, zu korrigieren. Wenig diskutiert wird in diesem Zusammenhang die CO2-Steuer selbst, mit der auch die Kunststoffproduktion besteuert wird. Hersteller sollten für die Stoffe, die sie in den Verkehr bringen im Rahmen von Hersteller-Verantwortungs-Systemen wie dem Grünen Punkt für rezyklierte oder recyclierbare Materialien geringer bepreist werden. Bei allen Plastikartikeln und Verpackungseinheiten, wo eine Rücknahme logistisch möglich ist, sollte die Einführung von Pfandsystemen erwogen werden. Langfristig könnte man auch ein Maximum an Primärrohstoffen definieren, das in Kunststoffen verarbeitet werden darf. Am besten wäre eine sinnvolle Kombination aus allem.

Welche Rolle spielt die Bewusstseinsbildung bei jungen Menschen, zu dem ja auch die Universität Innsbruck mit ihren Angeboten beiträgt?

Bockreis: Um dem Klimawandel entschieden entgegenzutreten, müssen wir im Bereich Bildung und Bewusstseinsbildung sehr viel tun. Denn wir wissen, dass wir als Konsumenten viel bewirken und Druck auf die Politik ausüben können. Wenn die Industrie nicht bereit ist, wird das zwar das System nicht ändern, trotzdem muss ein tiefes Verständnis dafür, welche Auswirkungen Plastik auf die Umwelt und den Klimaschutz hat, verankert werden.

Stuchtey: Die Bewegung im Bereich Kunststoff hat ihren Ausgangspunkt bei den Konsumenten. Die akzeptieren nicht mehr, dass so viel Kunststoff weggeworfen und nicht weiterverwendet wird und oft in Ökosystemen landet. Lösen können die Konsumenten das Problem aber nicht. Solange es keine Marktregeln gibt, kommt man als einzelner Konsument in einer Welt, in der alle Anreize falsch gesetzt sind, nicht dagegen an.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen globalen und lokalen Maßnahmen zur Plastikvermeidung?

Stuchtey: Wenn wir Plastik weiterhin genauso verwenden wie heute, dann wird alleine die Kunststoffindustrie im 21. Jahrhundert ein CO2-Emmissionsvolumen von 350 Gigatonnen erreichen. So hoch ist das CO2-Budget insgesamt noch, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Wir können es uns also nicht länger erlauben, so viel Plastik herzustellen, es nur einmal zu verwenden oder es in eine thermische Verwertung zu geben. Weltweit kommt die starke Vermüllung hinzu. Und hier gibt es einen Systemzusammenhang: Plastik, das in Europa – auch in Österreich – produziert wird, geht auf die Weltmärkte. Wenn wir die falschen Kunststoffe liefern, schaffen wir die Entsorgungsprobleme anderswo. Zudem nehmen die Länder des globalen Südens unseren Müll nicht mehr auf. Das erhöht den Entsorgungs- und Recyclingdruck bei uns in Europa. Aber es gibt auch einen positiven Zusammenhang: Sind wir in der Lage, dieses Problem in Europa zu lösen und kreislauf- und nutzenorientierte Systeme aufzubauen, dann ist das ein Exportschlager für die Zukunft. Solche Recycling-, Entsorgungs-, Sortier- und Tracingsysteme werden auch in den Volkswirtschaften des Südens gebraucht. So positionieren wir uns mit modernen, sauberen Lösungen und das entspricht schließlich der Logik des European Green Deals.

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