Historische Waldnutzung
Neben der üblichen Holznutzung, die phasenweise durch den Bergbau sehr intensiv erfolgte, waren die Wälder vor ungefähr 200 Jahren zusätzlich durch eine Vielzahl an sogenannten Sekundärnutzungen geprägt, wie beispielsweise der Schneitelung (Rückschnitt von Bäumen) an der Waldgrenze. Auf dem Bild zu sehen im Sellrain 1949.

Histo­rische Wald­nu­tzung und Hoch­wasser­ent­ste­hung

In den Alpen spielen Hoch­wässer eine wichtige und oft bedrohende Rolle. Die Entstehung dieser sogenannten „Wildbäche“ ist ein komplexer Prozess. Ein Projekt unter der Leitung des Instituts für Geschichts­wissenschaften und Europäische Ethnologie analysierte nun historische Quellen, um mehr über den Waldzustand und seine hydrologische Wirkung vor 200 Jahren zu erfahren.

Ob es bei einem starken Niederschlag wirklich zu einem Spitzenabfluss kommt oder nicht, hängt von den Eigenschaften des Einzugsgebiets ab, von der geologischen Situation, aber auch von der Landbedeckung. Diese wird auch in den Alpen seit Jahrtausenden vom Menschen mitgestaltet und hat sich v.a. durch die Bevölkerungsentwicklung und den Bergbau während der Neuzeit immer wieder stark verändert. Für das Abflussgeschehen sind Waldflächen von besonderer Bedeutung, denn sie vermögen, die hydrologische Reaktion stark abzupuffern. Wie stark dies allerdings erfolgt, hängt vom Zustand der Wälder ab, der sich über die letzten Jahrhunderte stetig verändert hat. Wir können uns heute kaum mehr vorstellen, wie die Wälder vor ungefähr 200 Jahren aussahen. Denn neben der üblichen Holznutzung, die phasenweise durch den Bergbau sehr intensiv erfolgte, waren die Wälder zusätzlich durch eine Vielzahl an sogenannten Sekundärnutzungen geprägt. Zu nennen sind vor allem die Waldweide, die Streunutzung und die Schneitelung. Diese Nutzungen führten zu einer starken Auflichtung der Bestände und zu einem geradezu ‚ausgeputzten‘ und teilweise verdichteten Waldboden.

Historische Quellen geben Aufschluss

Es ist davon auszugehen, dass durch diese starken strukturellen Veränderungen das Puffervermögen der Wälder maßgeblich eingeschränkt worden ist. Diese Tatsachen sind allerdings bei der Analyse historischer Hochwässer bisher kaum berücksichtigt worden. Das liegt u.a. daran, dass die historischen Quellen zum Zustand des Waldes in den letzten Jahrhunderten nie systematisch gesichtet, bewertet und ‚hydrologisch übersetzt‘ worden sind. Genau hier setzt das Projekt an. Unter der Leitung des Instituts für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie und mit weiteren Projektpartnern in Tirol und Bayern erfolgte zunächst eine umfassende Recherche zur Situation des Waldes vor ca. 200 Jahren. Die Ergebnisse waren durchaus ergiebig, sowohl was Karten mit differenzierten Waldeinheiten als auch die textlichen Erläuterungen dazu betrifft. Es bestätigte sich, dass der Nutzungsdruck auf den Wald damals sehr groß war – teilweise wurden die Parzellen nach Kahlschlägen sogar ein paar Jahre lang ackerbaulich genutzt! –, dass aber diese Nutzung von der Entfernung vom Siedlungsraum und den Besitzverhältnissen abhing. Zum Teil sind die Beschreibungen der Waldeinheiten so differenziert, dass auf dieser Grundlage die Abflussverhältnisse plausibel abzuschätzen sind. Auch die Lageinformationen sind so genau, dass anhand dieser Daten räumlich explizite hydrologische Modellierung machbar erscheinen.

Forensische Hydrologie

Mit diesem Projekt wurde erstmalig die hydrologisch relevante Landnutzung für den Zeitraum um 1850 rekonstruiert und bewertet. In einem größeren Folgeprojekt soll auf diesen aussichtsreichen Ergebnissen aufgebaut werden. Dabei wird die historische Recherche, die aktuell im Bereich des Tiroler Unterlandes (Gemeinde Ellmau) stattgefunden hat, räumlich ausgedehnt und mit klimatologischen Studien ergänzt. Solche Studien könnten unter dem Begriff ‚forensische Hydrologie‘ firmieren, einem Arbeitsgebiet, in dem hydrologisch ‚kriminelle‘ Handlungen systematisch untersucht werden. ‚Kriminell‘ mag zwar reichlich überspitzt klingen, jedoch gilt es den Auswirkungen der in den historischen Quellen beschriebenen „Neigung des Unterthans […] zu forstnachtheiligen Uebungen“ (Tiroler Landesarchiv, Handschrift 4393, Waldbeschreibung Forstrevier Ellmau 1839) aus hydrologischer Sicht nachzugehen. Zudem sollen durch Experimente (u.a. künstliche Beregnungen) Lücken im Prozessverständnis geschlossen werden. An dieser interdisziplinären Schnittstelle zwischen Geschichtswissenschaften sowie Wald-, Wasser- und Bodenexperten wurde bisher kaum gearbeitet; umso aussichtsreicher sind die zu erwartenden Ergebnisse für das Verständnis vergangener und somit auch zukünftiger Hochwässer in den Alpen.

Besprechung in Ellmau vor der Begehung. Links im Hintergrund der Wilde Kaiser mit dem Untersuchungsgebiet – v.l. K. Scharr, B. Kohl, A. Maier, G. Markart. (Credit: C. Geitner)

Informationen zum Projekt: HiLaK – Historische Landnutzung als Grundlage für Klimaschutzmaßnahmen heute, EFRE-Projekt Eurl36 im Rahmen des INTERREG V-A Programms Österreich-Bayern 2014-2020. Lead: Universität Innsbruck (Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie); Projektpartner: TU München (Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik); Institut für Geographie Innsbruck; Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) Innsbruck; Bayerisches Landesamt für Umwelt Augsburg.

(Kurt Scharr)

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