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Ein Team um Petronel Tuluc vom Institut für Pharmazie sowie Bernhard Flucher von der Medizinischen Universität hat in Kooperation mit Kerstin Kutsche von der Universität Hamburg-Eppendorf die Ergebnisse in der Fachzeitschrift Brain veröffentlicht.

Kalzium­kanal: Krank­heits­gen für neu­ro­nale Ent­wick­lungs­stö­rung

Im menschlichen Körper steuern zehn Typen Spannungs-aktivierter Kalziumkanäle eine Vielzahl wichtiger Funktionen. Neun der zehn waren bereits als Krankheit-verursachende Gene bekannt. Nun konnte ein Team von Forschern für das letzte Mitglied dieser Kanalfamilie (CACNA1I) genetische Defekte beschreiben, welche intellektuelle Störungen und epileptische Anfälle verursachen.

Spannungs-aktivierte Kalziumkanäle erkennen die elektrischen Signale von Nerven- und Muskelzellen und übersetzen diese in Zellfunktionen, wie die Sekretion von Neurotransmittern und Hormonen, die Kontraktion von Herz- und Skelettmuskel, oder die Aktivitäts-abhängige Genregulation. T-Typ Kanäle (sogenannte Low-Voltage-Activated Calcium Channels; CaV3.1 – 3.3) reagieren bereits auf geringfügige Veränderungen der Membranspannung und sind damit insbesondere an der Entstehung neuronaler Aktionspotentiale und an der Steuerung rhythmischer Aktivität im Gehirn beteiligt. Nicht verwunderlich, dass eine Rolle dieser Kanäle in neuronalen Rhythmusstörungen, wie bei der Epilepsie, vermutet wird, und dass sie als verheißungsvolle Drug Targets für die Entwicklung neuer Medikamente hoch gehandelt werden.

CaV3.3/CACNA1I als Krankheitsgen identifiziert

Tatsächlich wurden in den letzten Jahren zahlreiche genetische Varianten von T-Typ Kanälen beschrieben, von denen insbesondere spontan auftretende gain-of-function Mutationen von CaV3.1 (CACNA1G) und CaV3.2 (CACNA1H) eindeutig als Ursache neuronaler Erkrankungen, wie der zerebellaren Atrophie bzw. von Hyperaldosteronismus, identifiziert wurden. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Epilepsie konnte jedoch für keinen der T-Typ Kanäle bestätigt werden, und genetische Varianten von CaV3.3 (CACNA1I) wurden bisher lediglich als Risikofaktor für Schizophrenie eingestuft.

Als nun Humangenetiker vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf in mehreren Patienten einen starken genetischen Zusammenhang von Varianten des CACNA1I Gens mit neurologischen Erkrankungen unterschiedlicher Ausprägung fanden, kam die Expertise der Innsbrucker Kalziumkanalforscher zum Einsatz, um die Auswirkung der Mutationen funktionell zu charakterisieren. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren eindeutig und in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: Erstens zeigten die Kanalvarianten funktionelle Veränderungen, welche als gain-of-function, also als Überhöhung der Kanalfunktion, eingestuft werden konnten, was gut zum heterozygot dominanten Erbgang der genetischen Veränderungen passt. Zweitens deuteten die funktionellen Veränderungen auf zwei parallel ablaufende Pathomechanismen hin. Einerseits, dass vermehrter Kalziumeinstrom Neurone schädigt oder abtötet, was die teils dramatischen Defekte in der neuronalen und intellektuellen Entwicklung der Patienten erklärt. Und andererseits führten die Mutationen zu einer erhöhten Erregbarkeit von Neuronen, was die epileptischen Anfälle in den stärker betroffenen Patienten erklären könnte. Drittens war bemerkenswert, dass das Ausmaß der veränderten Kanalfunktionen bei den unterschiedlichen Mutationen gut mit dem Schweregrad des Krankheitsbildes der jeweiligen Patienten zusammenpasste. Alles in Allem lassen die Ergebnisse keinen Zweifel daran, dass die genetischen Veränderungen im CACNA1I Gen die Ursache der Erkrankungen ist. Ermutigt durch die Resultate der Innsbrucker Forscher, begannen die Kliniker die Behandlung mit Blockern von T-Typ Kalziumkanälen, was tatsächlich zu einer merklichen Linderung der epileptischen Anfälle führte.

Innsbruck: Zentrum internationaler Kalziumkanalforschung

Neben den wissenschaftlichen Resultaten und deren klinischer Bedeutung ist diese Studie auch aufgrund des breiten Spektrums der angewandten Techniken eine Klasse für sich. „Es ist phantastisch, welche Vielzahl von Methoden und Modellsystemen zur Erforschung von Kalziumkanälen uns in Innsbruck zur Verfügung stehen“, freut sich Bernhard Flucher von der Medizinischen Universität und erklärt weiter: „Krankheitsmutanten sind immer eine große Herausforderung, weil man vorab nie weiß, wo die Reise hingeht; d.h. welche Methoden letztlich für die Entschlüsselung des Krankheitsmechanismus´ notwendig sein werden. Da ist es extrem wertvoll in einem Umfeld arbeiten zu können, wo mehrere Forschergruppen zusammen eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken und Modellsysteme zur Verfügung haben, und bereit sind, diese in gemeinsame Projekte einzubringen.“ Wie diese Studie eindrucksvoll zeigt, ist das bei den Innsbrucker Kalziumkanalforschern eindeutig der Fall. Dazu ergänzt Petronel Tuluc vom Institut für Pharmazie der Uni Innsbruck: „Ich kenne keinen anderen Ort weltweit, wo so viele Forscherteams (beider Unis!) an unterschiedlichen Aspekten dieses Kanaltyps forschen und zudem noch so ausgezeichnet zusammenarbeiten. So wird Forschung schlagkräftig und macht Spaß!“ Und diese Studie verdeutlicht einmal mehr, wie das Wissen und die Expertise, welche in FWF-geförderten Grundlagenforschungsprojekten entwickelt wird, letztlich der klinischen Medizin und Patienten zugutekommen.

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