Vor 30 Jahren, im April 1992, brach der Bosnien-Krieg aus und machte Bosnien-Herzegowina (BiH) zu einem weiteren Kriegsschauplatz auf dem Balkan. Er verlief mit der knapp vierjährigen Belagerung Sarajevos und dem Massaker von Srebrenica besonders blutig. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag beurteilte das Massaker von Srebrenica später als Völkermord. Heute gilt es als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit 1945. Der Vertrag von Dayton vom November 1995 beendete zwar den Krieg, brachte aber nicht den Frieden. Drei Jahrzehnte danach ist die Lage in der Region immer noch problematisch und sehr komplex. Gleichzeitig leben in Tirol und Innsbruck heute viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien bzw. aus Bosnien-Herzegowina. Die Erfahrungen dieser Menschen rund um Krieg, Flucht und Neuanfang zwischen dem Balkan und Tirol/Österreich sind in der Öffentlichkeit allerdings wenig präsent. Die Menschen sind Teil der Gesellschaft, aber als Teil unserer Geschichte kaum sichtbar. „Dieser Umstand erstaunt besonders in Innsbruck, besteht doch seit 1980 eine Städtepartnerschaft mit Sarajevo. So gehen mit dieser Partnerschaft und auch mit der vielfältigen Bevölkerung Tirols ein kulturpolitischer Auftrag und eine ethische Verantwortung für das Thema einher“, erläutert Benedikt Kapferer vom Institut für Zeitgeschichte. Gemeinsam mit Ramona Rakić, Ingrid Böhler, Gerhard Hetfleisch und Eva Binder organisiert er das Vermittlungsprojekt „Der Bosnien-Krieg 30 Jahre danach: Perspektiven auf ein dialogisches Erinnern“.
Vermittlungsprojekt
Zwei Veranstaltungen der Reihe haben bereits stattgefunden, die weiteren Teile sind in Frühjahr und Herbst 2022 geplant – anlässlich des Beginns des Bosnien-Kriegs vor genau 30 Jahren, mit einem Fokus auf Bosnien-Herzegowina, eingebettet in den größeren Kontext der Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Am 9. März besuchte die junge bosnische Autorin Lana Bastašić gemeinsam mit der Übersetzerin Rebekka Zeinzinger das Literaturhaus am Inn. Andrea Zink, Professorin für slawische Literaturwissenschaft vom Institut für Slawistik, sprach mit ihnen über den Roman Fang den Hasen, über den Stellenwert der Literatur in den postjugoslawischen Republiken, über die Wichtigkeit einer neuen (schriftstellerischen) Generation, die Veränderung bewirken will sowie über persönliche Erfahrungen und Erinnerungen. Darüber hinaus hatte das Publikum die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Eine weitere Veranstaltung fand am 4. April im Rahmen des gemeinsamen Forschungskolloquiums der historischen Institute der Universität Innsbruck statt. Ljiljana Radonić hielt einen Vortrag zum Thema Der Umgang mit den Jugoslawienkriegen in bosnischen und kroatischen Museen und Gedenkstätten, in dem sie die unterschiedlichen Erinnerungsnarrative und -kulturen der beiden Länder am Beispiel von Museen einander in Bezug stellte und kontrastierte.
Den Veranstalter*innen ging es im Sinne einer inklusiven Erinnerungskultur auch darum, die Perspektiven derer sichtbar zu machen, die den Krieg erlebt haben und darüber erzählen wollen. „Gerade Filme und Literatur eignen sich sehr gut für eine niederschwellige Vermittlung. Mir persönlich war der blutige Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahren lange nicht bewusst. Da die historischen Ereignisse noch nicht weit zurückliegen, wird das in der Schule oder an der Universität wenig behandelt. Das war für mich aus mehreren Gründen sehr verwunderlich. Immerhin gilt das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 als schwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit 1945“, sagt Benedikt Kapferer über die Beweggründe für die Veranstaltungsreihe. Mit der russischen Aggression gegen die Ukraine sind die Themen rund um Krieg und Flucht außerdem aktueller denn je. Doch gerade die Geschichte Ost- und Südosteuropas wurde in den vergangenen Jahren stark ausgeklammert, stattdessen dominierte die Erzählung vom langjährigen Frieden auf dem Kontinent, was aber Erfahrungen von Staaten wie jenen aus dem ehemaligen Jugoslawien oder auch der Ukraine ausblendet. „Insofern geht es uns auch darum, eine Reflexion über die Verantwortung Europas in diesen Ländern anzuregen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen“, betont Benedikt Kapferer.