Die diesjährige Großexkursion des Instituts für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie (Österreichische Geschichte) führt nach Rumänien. Die Route, ein Transekt quer durch Rumänien, führt über Brașov (Kronstadt) nach Alba Iulia (Karlsburg), Reșița (Reschitz), Constanța und Tulcea in das Donaudelta nach București (Bukarest).
Die an der Exkursion teilnehmenden Studierenden konnten sich während des Sommersemesters mit Spezialthemen, die während der Exkursion vor Ort diskutiert werden, eingehend vorbereiten.
Dienstag, 13.09.
Den Auftakt setzte ein Besuch des Kahlenbergs in Wien. Frei nach Grillparzer („Hast du vom Kahlenberg das Land dir rings beseh'n, So wirst du was ich schrieb und was ich bin versteh'n“) nutzten wir dabei den Blick über Wien hinweg in Richtung Südosten. Am Beispiel der Kirche am Kahlenberg und der dort zahlreichen Erinnerungstafeln konnte einerseits die Belagerung Wiens 1683 durch Truppen des Osmanischen Reiches diskutiert werden. Andererseits galt die Aufmerksamkeit aber auch dem Blick auf den kulturellen Austausch, die habsburgische Expansion des 17. Jahrhunderts sowie unterschiedliche Narrative zu diesen Ereignissen wie ihren Folgen.
Mittwoch, 14.09.
Nach über 12 Stunden Zugfahrt, die uns quer durch die ungarische Tiefebene und den südlichen Teil Siebenbürgens geführt hat, erreichen wir Brașov (Kronstadt), eine der wichtigsten Städte dieses Raumes. Seit dem Mittelalter war die Stadt von Handel dominiert, bis im 19. Jahrhundert auch hier die Industrialisierung einsetzte. Während der kommunistischen Periode zwischen 1948 und 1989 gehörte Brașov zu den führenden (Schwer-)Industriestädten Rumäniens. Bereits 1987 führte hier die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung zu einem Aufstand gegen das Regime. Heute ist die Stadt, nach Jahren des Niedergangs, wieder ein wachsendes und dynamisches Wirtschaftszentrum.
Donnerstag, 15.09.
Dieser Tag war der Grenzproblematik am Übergang zwischen den Herrschaftsräumen gewidmet. Kirchenburgen als Schutz und Zentrum kultureller Identität der Siebenbürger Sachsen einerseits und Bran (Törzburg) als wenngleich spätes Zentrum rumänischer Identität im 20. Jahrhundert, war doch diese Burg ein Geschenk der Stadt Brașov an die rumänische Königin Maria, seit knapp 15 Jahren gehört die Anlage, im Restitutionswege, einem Zweig der Habsburger und ist mittlerweile eine touristische Attraktion, nicht zuletzt wegen des Walachischen Fürsten Vlad Țepeș, besser bekannt als ‚Dracula‘.
Freitag, 16.09.
Heute, nach Jahrzehnten kontinuierlicher Auswanderung, ist die evangelische Gemeinde AB von Mediaș auf etwa 600 Personen geschrumpft. Die deutschen Schulen (wie etwa die Hermann-Oberth-Schule) werden aber weiterhin von vorwiegend rumänisch-muttersprachlichen Kindern, die – mit Ausnahme von Rumänisch selbst – in allen Fächern in Deutsch unterrichtet werden, sehr gut angenommen. In der Kirche konnten wir einer Andacht für den Frieden in der Ukraine beiwohnen. Die Pastorin gestaltete diese kurze Besinnung mit Orgelmusik sowie einer Lesung in Deutsch und Englisch für die anwesenden ukrainischen Kriegsflüchtlinge.
Samstag, 17.09.
Die Festung Alba Iulia (Karlsburg, ung. Gyulafehérvár) liegt annähernd im Zentrum Siebenbürgens. Sie wurde ursprünglich von Kaiser Karl VI. um 1716 errichtet und sollte den Raum vor Angriffen seitens der Osmanen schützen. Gleichzeitig bestand ihr Auftrag wohl auch darin, dass sie den bereits von den Habsburgern eroberten Teil im Inneren zu kontrollieren hatte. Allein der Festungsbezirk bietet vielfache Möglichkeiten, sich mit der Geschichte Rumäniens ihren vielen Facetten und Narrativen auseinanderzusetzen. So lassen sich hier Aspekte des antiken Roms (Kaiser Traian), der ungarischen Herrschaft (Hunyadis), der österreichischen Zeit (Custozza u.a.) und der rumänischen Zeit nach 1918 (Krönungskathedrale der rumänischen Könige) zeigen und diskutieren.
Hunedoara (Eisenmarkt, ung. Vajdahunyad) ist heute mit seiner mittelalterlichen Burg ein Anziehungspunkt für tausende von Touristen, v.a. auch Ungarn, die hier einen Teil ihrer Identität verorten. Seit dem beginnenden 20. Jahrhundert und v.a. während der Zeit der sozialistischen Republik zählte die Stadt zu den größten Eisenhüttenwerken Rumäniens. Davon zeugen riesige Abraumberge und Industrieruinen. Die Burg, inmitten des Eisenhüttenwerkes wirkt dabei geradezu irreal.
Densuș ist ein unscheinbarer und dennoch besonderer Ort im Banat, unweit der Hauptstraße von Hunedoara nach Caran-Sebeș. Die kleine, aus zahlreichen Spolien erbaute Kirche ist der älteste Sakralbau in Siebenbürgen und im Banat. Die Baumaterialien stammen aus dem unweit davon entfernt gelegenen Sarmizegetusa (Ulpia Traiana), der Provinzhauptstadt des römischen Daciens. Im Inneren der orthodoxen Kirche finden sich Fresken aus dem 14. Jahrhundert.
Sonntag, 18.09.
Die gebirgigen Teile des Banats waren spätestens seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wegen ihrer Rohstoffe (u.a. Erz und Kohle) bekannt und bildeten den Kern für die Industrialisierung Südosteuropas. Die während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründete Staatseisenbahngesellschaft (STEG) prägte die Orte Reschitz (rum. Reșița) und Orawitz (rum. Oravița). Im 20. Jahrhundert wurde das Gebiet gleich mehrfach von Veränderungen betroffen: 1918 mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs, als das Banat Teil Rumänien wurde, 1948 mit der kommunistischen Machtübernahme und 1989 mit dem Fall des diktatorischen Regimes Nicolae Ceaușescus. Heute, 30 Jahre nach dem Ende des Kommunismus erholen sich die Siedlungen nur langsam von diesen Ereignissen, auch wenn die EU massiv in Infrastruktur investiert, so arbeitet mittlerweile doch ein Großteil der Bevölkerung im westlichen EU-Ausland.
Anina gehörte zu den prestigeträchtigen Kohlegruben des Banat und ist über eine spektakuläre Bahnlinie („Banater Semmering“) mit Orawitz verbunden. Als im 18. Jahrhundert hier erste Spezialisten aus Tirol und der Steiermark angesiedelt wurden, war der Ort freilich nur unter großen Entbehrungen zu erreichen. Selbst wenn es in Steierdorf noch regelmäßig Gottesdienste in deutscher Sprache gibt, so sind auch hier zumeist nur die älteren Leute geblieben.
Montag, 19.09.
Herkulesbad (rum. Băile Herculane) war seit dem beginnenden 18. Jahrhundert der Stolz der ‚Grenzer‘, also jener Ansiedler, die in der Militärgrenze gewisse Privilegien genossen. Mit dem Bau der Eisenbahn während der 1870er Jahre erlangte der seit der Römerzeit für seine Heilquellen bekannte Ort einen enormen Aufschwung und konnte sich fortan durchaus mit den Bädern und Sommerfrischen der restlichen Habsburgermonarchie messen.
Dienstag, 20.09.
Von Craiova führte der heutige Tag über Bukarest in die Hafenstadt Constanța, das antike Tomis, dem Verbannungsort von Ovid. Damit haben wir die längste Fahrtstrecke (500 km) unserer Exkursion zurückgelegt. Die Themen waren entsprechend ‚mobil‘ angelegt und behandelten etwa die Balkankriege sowie Leben und Werk von Elias Canetti, der im bulgarischen Ruse (dt. Rustschuk), auf der orographisch rechten Donauseite geboren wurde.
Mittwoch, 21.09.
Donnerstag, 22.09.
Das Donaudelta bildet weltweit eine einzigartige Natur- und Kulturlandschaft. Einerseits stellt es seit Jahrhunderten den Siedlungsraum (u.a. für russisch-Altgläubige) für Menschen, die sich als Fischer ihr Leben verdingen, aber ebenso für zahlreiche Tierarten. Andererseits war die Mündung ins Schwarze Meer spätestens seit dem Frieden von Passarowitz (1718) Gegenstand von Begehrlichkeiten der europäischen Mächte, konnte man doch über die Donau weite Teile Südosteuropas politisch wie wirtschaftlich kontrollieren. Der vorletzte Exkursionstag widmete sich daher voll und ganz den vielfältigen Phänomenen des Deltas.
Freitag/Samstag, 23./24.09.
Am Freitag führte uns die letzte Strecke der Exkursion bei Galați wieder über die Donau und von dort über die Baragan-Steppe nach Bukarest. Hier kamen einige der überaus problematischen Perioden rumänischer Geschichte zur Sprache: Die Bauernaufstände des Jahres 1907 und die Zwangsdeportationen von deutsch- wie serbischsprachigen, rumänischen (!) Staatsbürgern aus dem Banat in die Steppe 1951 durch das kommunistische Regime. Während die Bauernaufstände erst im Sozialismus (bewusst als Klassengegensatz zum vorangegangenen ‚feudal-kapitalistischen‘ System) thematisiert wurden, ist der Umgang mit Minderheiten während der Periode der kommunistischen Diktatur immer noch ein in der Öffentlichkeit nur zögerlich behandeltes wie kaum wahrgenommenes Thema, zumal die meisten betroffenen Familien mittlerweile Rumänien verlassen und damit die persönliche wie kollektive Erinnerung mit sich genommen haben.
Auch wenn, wie hier in einem zufälligen Schnappschuss festgehalten, die Regionen Rumäniens, ihre Geschichte und Gesellschaft uns zunächst mitunter mit einer scheinbar verwirrenden Vielfalt ohne Ende und Anfang konfrontierten, ermöglichte die Exkursion für alle TeilnehmerInnen doch einen ersten Einblick und ein darauf basierendes wachsendes Verständnis um dieses innerhalb der Europäischen Union oftmals vernachlässigte und unterschätzte Land. So verwirrend der Kabelsalat auf den ersten Blick auch sein mag, so viel weniger kompliziert war etwa die rasche Ausstattung des Landes allerorts mit Internet, und schließlich, man findet sich mit gutem Willen doch ganz gut zurecht!