Feldlabor am Hintereisferner
Feldlabor am Hintereisferner.

Schnee­ver­we­hun­gen am Glet­scher mo­del­lie­ren

Veränderung von Gletscherlandschaften im Blick: Brigitta Goger vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften entwickelt neue, hochauflösende Modelle, die den Wandel der Eisriesen im Detail nachvollziehen lassen. Diese Simulationen können selbst lokale Phänomene wie die Schneedrift am Gletscher berücksichtigen.

Den Gletschern kommt im Klimawandel eine Schlüsselrolle zu. Ihr rapides Abschmelzen ist ein gut sichtbares Zeichen eines sich verändernden Planeten. Ihr Verschwinden hat Auswirkungen auf den Wasserhaushalt einer Region. Die polaren Eisschilde speisen zudem den globalen Anstieg des Meeresspiegels. Doch es ist gar nicht so einfach, den Überblick über die genaue Entwicklung der Eisriesen zu behalten. Sie sind – zumindest noch – zu groß und zu zahlreich für ein individuelles Monitoring. Deshalb ist es besonders wichtig, Modelle zu entwickeln, die die physikalischen Prozesse hinter dem Wandel eines Gletschers möglichst präzise abbilden – und die sich auch möglichst einfach auf weitere Gebiete, die nicht exakt beobachtbar sind, übertragen lassen.
Im Projekt „Schneedeckendynamik und Massenbilanz auf Gebirgsgletschern“ arbeitet ein Forschungsteam der Universitäten Innsbruck und Erlangen-Nürnberg in Deutschland daran, solche Gletschermodelle zu entwickeln und zu verbessern. Veränderungen der Masse und Energieflüsse rund um die Eisriesen werden „in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung“ analysiert, um Niederschlagsverteilungen, Schneeverwehungen und lokale Wetterphänomene besser berücksichtigen zu können. „Je kleiner die Gebirgsgletscher werden, desto wichtiger werden diese sehr kleinräumigen Phänomene für ihre Modellierung“, betont Brigitta Goger vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck, die hier mit dem Glaziologen Georg Kaser und weiteren Kolleg*innen Strategien für die engmaschigere physikalische Beschreibung der Gletscher entwirft.

Messungen am Hintereisferner in Tirol 

Wesentlicher Ausgangspunkt der Arbeit des Projektteams ist der Hintereisferner, ein mit sechs Quadratkilometern Fläche vergleichsweise großer, aber dennoch leicht zugänglicher Gletscher im hinteren Ötztal nahe der Grenze Tirols zu Italien – nicht weit vom Fundort jener Eismumie, die unter dem Namen Ötzi bekannt wurde. Der große Vorteil des Hintereisferners ist, dass er zu den am besten erforschten Gletschern Österreichs und generell der Alpen zählt. Seit 2016 ist hier eine Messinfrastruktur vorhanden, die in dieser Form weltweit einzigartig ist: ein permanent installierter Laserscanner, der – ferngesteuert von Innsbruck – die Gletscheroberfläche täglich abtasten kann. Aus den Geländemodellen, die aus den umfangreichen Messdaten abgeleitet werden können, lassen sich Höhen-, Volumen- und Masseveränderungen errechnen. Für Goger und das Team ist dieses technische Hilfsmittel, das die traditionelle Massenbilanzerstellung mittels Pegelstangen ergänzt, ein wichtiges Hilfsmittel für eine fortgeschrittene Modellierung der Gletscherphysik.
In einer ersten Projektphase lag es an Annelies Voordendag, einer Doktorandin am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften, die Genauigkeit und Fehleranfälligkeit des Messsystems zu untersuchen. Immerhin sind diese Faktoren von Aspekten wie Messdistanz, Wetter und Wind abhängig und somit ausschlaggebend für aussagekräftige Modellierungen, die darauf aufbauen. „Wir wissen nun, dass wir eine Messgenauigkeit mit maximalen Abweichungen von etwa zehn Zentimetern schaffen – gut genug, um auch die tägliche Schneedrift aus den Geländemodellen ableiten zu können“, resümiert Goger, die anhand der Daten an einem eigenen „Schneedrift-Modul“ für die Gletschermodellierung arbeitet.

Interaktion zwischen Eis und Atmosphäre

Damit wird es möglich sein, die Daten zur Gletscheroberfläche, die sich täglich durch Niederschlag, Schmelze oder Schneeverwehungen verändern, mit einem Atmosphärenmodell in Zusammenhang zu bringen. Die Luftbewegungen über dem Gletscher sind besonders komplex, hebt Goger hervor: „Der Wärmeaustausch zwischen Eisoberfläche und darüberliegender Atmosphäre ist sehr inhomogen, was großen Einfluss auf die lokalen Luftbewegungen hat. Auch dieser Aspekt hat Einfluss auf die Massenbilanz des Gletschers.“ Die Eismassen sind zudem gewöhnlich von einer kalten Luftschicht umgeben, die warmen oberflächennahen Strömungen entgegenwirkt und ein schnelleres Abschmelzen bremst. Die Modellierungen könnten hier etwa auch Aufschluss darüber geben, wie viel ein Gletscher an Masse verlieren kann, ohne diesen „Schutzschild“ zu verlieren.
So wie die Messdaten des Laserscanners die Gletschermodelle verbessern, sollen umgekehrt auch die Erkenntnisse aus den Modellen Aufschluss über Fehlerquellen und Unschärfen der Messungen geben – und diese damit künftig weiter verbessern. Anstehende Publikationen im Projekt, das vor kurzem um ein Jahr verlängert wurde, geben einerseits Aufschluss über diese Verbesserung der Messgenauigkeit bei Schneedrift. Andererseits arbeitet Goger auch an einer ersten Winter-Fallstudie, die eine auf den Messdaten aufbauende Simulation der Schneedrift zeigt. Schließlich könnten auch Forscher*innen in anderen Weltregionen die Rechenansätze aufgreifen. Goger: „Wenn die Modelle mit dem Hintereisferner gut funktionieren, könnten die Kolleg*innen in Kanada, die es mit viel größeren Eismassen zu tun haben, sie beispielsweise auch ausprobieren – und sie auf ihre Untersuchungsgebiete optimieren.“

Zur Person

Brigitta Goger ist Postdoc am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck, wo sie ihre Doktorarbeit zu hochauflösenden Wettervorhersagemodellen schrieb. Zuvor studierte sie Meteorologie an der Universität Wien. Das noch bis 2023 laufende internationale Projekt „Schneedeckendynamik und Massenbilanz auf Gebirgsgletschern“ wird vom FWF mit 405.000 Euro gefördert. Georg Kaser ist Leiter des Projekts.

(FWF scilog/red)

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