Christoph Singer

Christoph Singer ist Professor für britische und anglophone Kulturwissenschaft.

Vor­ge­stell­t: Die Kom­fort­zo­ne ver­las­sen

In seiner Forschung befasst sich Christoph Singer intensiv mit Grenzziehungen zwischen Indien und Pakistan sowie deren soziokulturelle Folgen. Dabei analysiert der Wissenschaftler, wie hegemoniale Diskurse wirken. Seit März 2021 ist er Professor für britische und anglophone Kulturwissenschaft.

Christoph Singer hat immer schon gern gelesen. Was er noch lieber macht: Diskutieren. Bereits in der Schule entdeckte er philosophische, kulturelle und literarische Themen für sich. An der Julius-Maximilians-Universität Würzburg studierte er Germanistik und Amerikanistik. Währenddessen unternahm er einige Reisen ins Ausland und verbrachte ein Jahr als Teaching-Assistant an der State University of New York. Dort übernahm er die Verantwortung für zwei Deutschkurse pro Semester. „Es war eine sehr lehrreiche Zeit und ich hatte die Gelegenheit, meine persönlichen Stärken und Schwächen beim Unterrichten kennenzulernen“, freut sich Singer und fügt hinzu: „Ich konnte viele neue Bekanntschaften schließen und einen einmaligen Einblick in die Lebenswirklichkeit der USA erhalten.“

Im Anschluss an die abgeschlossenen Examens- und Magisterprüfungen in Würzburg wechselte Christoph Singer an die Universität Paderborn. Dort wirkte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anglistik und Amerikanistik in der britischen Kultur- und Literaturwissenschaft mit und brachte sich im Bereich Didaktik ein. Seine Dissertation verfasste er zur Grenzsemiotik in britischer kolonialer- und postkolonialer Literatur. Im Rahmen seines anschließenden Habilitationsprojekts befasste er sich mit Krisenerfahrungen und deren narrativer Verfasstheit im zwanzigsten Jahrhundert. „In Zuge dessen griff ich das Thema Warten auf und untersuchte damit zusammenhängende Prozesse. Diese Thematik hat durch die Flüchtlingskrise an Brisanz gewonnen. Viele Menschen standen an der Grenze, warteten in Ämtern oder auch Asylheimen.“ Seit März 2021 ist Christoph Singer als Professor für britische und anglophone Kulturwissenschaft an der Uni Innsbruck tätig.

Weltweites Echo

Seinen Fokus legt Singer auf die Border-Studies. Dabei befasst er sich mit lokalen und kolonialen Grenzziehungen zwischen Indien und Pakistan sowie deren sozio-kulturellen Folgen, die bis heute nachwirken. Mit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1947 kam es zu einer der größten Migrationswellen aller Zeiten. „Damals mussten 14 Millionen Inderinnen und Inder ihre Heimat verlassen. Durch die Teilung erfolgten gewaltsamen Auseinandersetzungen, bei denen sehr viele Menschen ihr Leben verloren haben. Es gab auch massive sexualisierte Gewalt an Frauen. Dieser traumatische Teil der Geschichte wurde kaum aufgearbeitet und sollte aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.“ Singer möchte vergessenen Stimmen Gehör verschaffen und insbesondere die Lebensrealität von Frauen thematisieren. „In Ländern wie Pakistan, Indien oder China liegt eine komplexe politische Lage vor. Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass das postkoloniale Selbstbild nach wie vor eine Rolle spielt. Die Geschichtsschreibung wird von politischen Parteien und anderen Akteuren instrumentalisiert.“

Sein Forschungsinteresse richtet Singer dabei insbesondere auch auf die digitalen Medien. Auf der Social-Media Plattform Instagram geht er der Frage nach, wie über bestimmte Grenzübergänge zwischen Indien und Pakistan kommuniziert wird. „Es werden Flaggen und nationalistische Slogans gepostet. Durch die Verbreitung im Internet führt ein lokaler Grenzstrich zu einem weltweiten Echo. Dadurch werden wiederum Stereotypen aufgebaut.“ Eine ganz andere Seite von Instagram entdeckt Singer in Zusammenhang mit jungen Dichterinnen und Dichtern. Online schreiben sie über die Liebe, Selbstfindung und alltägliche Probleme. „Online wird diesen Dichter*innen die Möglichkeit eingeräumt, mit Millionen von Fans zu interagieren. Es kommt zu einem Zusammenspiel von Bild, Text und Kommunikation.“ In diesem Zusammenhang stellen sich für den Forscher viele interessante Fragen: Wer steht im Zentrum des Interesses? Wie werden Texte interpretiert? Wem gelingt es, eine große Community aufzubauen und worin liegen die Gründe?

Blick erweitern

Ein weiterer Themenbereich, mit dem sich der Professor gerade beschäftigt ist die Zeitwahrnehmung in Zusammenhang mit der eigenen Identität insbesondere im Kontext der narrativen Erforschung von Traumata. Dabei widmet er sich der Frage, wie man solche Thematiken darstellen kann. „Objektiv betrachtet geht die Zeit immer voran. Unser Alltag wird stark durch Termine und Vorhersagen strukturiert. Unter der Oberfläche sind diese Themen komplexer als man auf den ersten Blick vermuten würde.“ Singer stellte dabei auch die Frage, was wir in unserer Gesellschaft unter einer sicheren Zukunft verstehen. „Unsere Gesellschaft ist so strukturiert, dass wir versuchen, die Zukunft vorhersehbar zu machen.“ Singer ist auch ein großer Befürworter der interdisziplinären Zusammenarbeit. Er ist Mitherausgeber der Buchreihe Narratives and Mental Health und erforscht mit Psycholog*innen und Kulturwissenschaftler*innen im interdisziplinären Netzwerk die Wirkweise von Erzählungen in der medizinischen Praxis, als auch in der kulturellen Darstellung von geistiger Gesundheit. Gemeinsam ergründen sie den Umgang von verschiedenen Gesellschaften, Kulturen und Institutionen mit diesen Themen. „Es ist hochinteressant, wie Menschen dramatische Erlebnisse in Form von Geschichten verpacken und weitergeben. Wir fragen uns dabei auch, wie solche schwierigen Momente nach außen kommuniziert werden.“ Durch die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen, möchten die Beteiligten spannende Diskussionen fokussieren. „Der Kontakt ermöglicht einen breiten Austausch und eröffnet die Chance, Theorien und Vorstellungen zu hinterfragen.“

Aus Sicht von Singer ist es wichtig, den Austausch mit anderen Lehrenden und den Studierenden zu suchen. „Durch die Universität bekommt man dieses Quäntchen Freiheit, um sich mit speziellen Themen zu beschäftigten.“ In seinen Lehrveranstaltungen ist es ihm ein Anliegen, den Blick der Studierenden zu erweitern. „Ich möchte den Studierenden verschiedenste Lesarten mitgeben. Texte können auf die verschiedensten Arten gelesen werden. Dies birgt eine große Freiheit in sich, bringt aber auch Verantwortung mit.“ Singer ist es dabei ein didaktisches Anliegen, die Komplexität nicht aus den Augen zu verlieren. „In diesem Zusammenhang ergeben sich politische Diskurse und moralische Haltungen.“ Daneben greift Singer in der Lehre auch Freiheitsdiskurse im anglophonen Raum auf und setzt diese in Bezug zur COVID-19-Pandemie. „Im Zuge der Krise stellt sich wiederholt die Frage, wo Freiheitsrechte liegen und inwiefern wir sie für die Gemeinschaft aufgeben sollten.“

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