Einen Kopf zu haben, ist ziemlich vorteilhaft. Was eigentlich banal klingt, wurde von der Evolution in einem langen Prozess erprobt: Während der Entstehung der Tierwelt in den Ozeanen dominierten zunächst rein wirbellose Lebewesen. Diese besaßen zwar schon Kopfstrukturen, doch es war die Entwicklung eines neuartigen, verbesserten Kopfes, die schließlich den Wirbeltieren den Weg zum Erfolg ebnete.
Dieser ‚neue Kopf‘ ermöglichte eine weite räumliche Verteilung und Vervielfältigung von Sinneszellen und damit eine viel bessere Wahrnehmung der Umwelt. Gerade für die Evolution der räuberischen Lebensweise erwies sich das als essentiell.
Wenn äußere Reize an das Gehirn von Wirbeltieren weitergeleitet werden, spielen die sogenannten ‚Cranial Sensory Ganglia‘ eine wichtige Rolle. Diese Kopfganglien kann man sich als Nervenknotenpunkte vorstellen, die über den gesamten Kopf verteilt sind und Informationen der Sinnesorgane aufnehmen. Wie genau diese Kopfganglien entstanden sind, war der Wissenschaft bisher nicht bekannt. Eine im Fachjournal Nature veröffentlichte Studie ging dem Rätsel nun auf den Grund.
Prototyp der Wirbeltiere
Die Arbeitsgruppe von Ute Rothbächer am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck war entscheidend an der Endphase dieses Forschungsprojekts beteiligt, das in internationaler Zusammenarbeit durchgeführt und von der Universität Oxford ins Leben gerufen wurde. Ihr Befund zeigt, dass die ‚Cranial Sensory Ganglia‘ der Wirbeltiere aus einem genetischen Programm hervorgehen, das auch in ihren nächsten noch lebenden Verwandten, den Manteltieren, zu finden ist. Bei Manteltier-Larven sitzen bestimmte sensorische Nervenzellen im Schwanzbereich, die sogenannten ‚Bipolar Tail Neurons‘. Diese verarbeiten äußere Reize, sind aber auch für die Fortbewegung des Tieres verantwortlich. In beiden Tierstämmen werden die jeweiligen Strukturen durch das Gen Hmx gebildet.
„Manteltiere sind gewissermaßen ein evolutionärer Prototyp für Wirbeltiere“, erklärt Rothbächer. „Zwischen den erwachsenen Tieren dieser Stämme herrscht eine große anatomische Kluft, da sie an ökologische Nischen angepasst sind. Das erschwert die Forschung über ihre Evolution. Lediglich im Embryonalstadium lassen sich gemeinsame Strukturen und Mechanismen besser erkennen – unser gemeinsamer Vorfahre war wahrscheinlich einer Manteltier-Larve sehr ähnlich.“
Als Modellorganismen der Studie dienten das Neunauge, ein primitiver Fisch, der einem Aal gleicht und oft als ‚lebendes Fossil‘ bezeichnet wird, und das Manteltier Ciona intestinalis, das von einem gelblichen, schlauchförmigen Mantel umgeben ist, der das Tier schützt und Nahrung filtert.
Das erhaltene Gen
Alessandro Pennati, Doktorand in Rothbächers Arbeitsgruppe, steuerte entscheidende Daten über die Funktion des Gens Hmx in Ciona bei. Dazu verwendete er die Gentechnologie CRISPR-Cas9, mit der sich genetische Sequenzen gezielt ausschalten lassen, und die Methode der transienten Transgenese, um Gene übermäßig häufig abzulesen.
Die Forscher*innen stellten fest, dass Hmx in Manteltieren die Entwicklung von ‚Bipolar Tail Neurons‘ steuert, wohingegen es in Wirbeltieren maßgeblich zur Entwicklung von ‚Cranial Sensory Ganglia‘ beiträgt. Erstaunlicherweise waren Hmx-Genabschnitte des Neunauges, die in die DNA von Ciona eingefügt wurden, ähnlich aktiv wie das Ciona-eigene Hmx.
„Hmx hat sich als zentrales Gen erwiesen, das über die Evolution hinweg konserviert wurde, also seine ursprüngliche Funktion und Struktur erhalten hat und in dieser Form vermutlich bereits im gemeinsamen Vorfahren von Wirbel- und Manteltieren zu finden war“, erklärt Pennati. ‚Cranial Sensory Ganglia‘ und ‚Bipolar Tail Neurons‘ haben damit den gleichen evolutionären Ursprung, Hmx war vermutlich entscheidend an der Ausbildung hochspezialisierter Kopfsinnesorgane der Wirbeltiere beteiligt.