Es war dies der dritte Vortrag in einer Reihe zur Baugeschichte des Elsass, der gemeinsam von der Abteilung für Baugeschichte, dem Archiv für Bau.Kunst.Geschichte und dem Frankreich-Schwerpunkt der Universität Innsbruck organisiert wurde. Ort war der 6. Stock des eindrucksvoll-eleganten Gebäudes „Adambräu“, den das Archiv zur Verfügung gestellt hatte. Das zahlreich erschienene und sehr interessierte Publikum bestand neben Elsass-LiebhaberInnen und MitarbeiterInnen der Abteilung für Baugeschichte vor allem aus Studierenden der Gruppe um Prof. Weber, die erst vor Kurzem eine von ihr und Professor Alexandre Kostka geleitete Exkursion ins Elsass unternommen hatten und/oder die über ihre Diplomarbeiten in das Projekt eingebunden waren.
„Gerettet“ musste das Straßburger Münster Anfang des 20. Jahrhunderts deswegen werden, weil sein Turm Risse und Verschiebungen aufwies und also offensichtlich drohte, in absehbarer Zeit einzustürzen. Gerade war der Markusturm in Venedig am 14. Juli 1902 spektakulär in sich zusammengebrochen, während man gleichzeitig überall in Deutschland bestrebt war, unvollendet gebliebene gotische Kathedralen fertig zu bauen (größte Erfolgsgeschichte: der Kölner Dom). In Straßburg wurde zum Bauleiter 1905 der deutschstämmige Johann Knauth bestimmt, der sowohl von Kathedralen als auch von den modernsten Bautechnologien (Eisenbeton nach dem Hennebique-System) etwas verstand und der das Projekt auch – beinahe – selbst zu Ende führen konnte. Ein Opfer der Geschichte, starb er 1924 im Exil und in Vergessenheit, während sein Name bei der feierlichen Einweihung 1926 nicht einmal erwähnt wurde.
Aber nicht nur um große und wichtige identitätsstiftende Baudenkmäler ging es bei dieser Vortragsreihe, denn am 5.6.2023 hatte Dr. Tobias Möllmer im selben Rahmen einen Vortrag über die Friedenskirche von Fröschweiler im Unterelsass gehalten, die zwar künstlerisch nicht besonders auffällig, aber historisch und ideologisch sehr bedeutsam ist. Entstanden ist sie als Erinnerung an die Schlacht von Wörth, bei der 1870 die deutschen Truppen die französischen besiegten und so die Übernahme des Elsass durch das deutsche Reich herbeiführten. Die Friedenskirche wurde durch Spenden finanziert und förderte den Schlachtentourismus von der deutschen Seite beträchtlich. Sie ist ganz bewusst als evangelische Kirche errichtet worden, aber ihr Stil und ihre Erbauer berufen sich auf die französische Tradition. So ist auch dieses Monument, das übrigens in späteren Jahren von der französischen Denkmalverwaltung sträflich vernachlässigt und erst vor Kurzem aufgrund seiner historischen Bedeutung zur Sanierung freigegeben wurde, baugeschichtlich gesehen kein Zeichen des auftrumpfenden Deutschtums, sondern ein lebendiges Zeugnis des Kulturaustauschs in dieser bikulturellen Region.
Schon am Anfang der Veranstaltungsreihe, am 4.5.2023, hatte der Straßburger Kulturhistoriker Prof. Dr. Alexandre Kostka, der zwei Monate als Gastforscher im Adambräu zugegen war, einen Vortrag über den Architekten Fritz Beblo und den kulturelle Dualismus Straßburgs zwischen Deutschland und Frankreich gehalten. In Preußen geboren, hegte Beblo, der 1910 zum Leiter des Straßburger Hochbauamts ernannt wurde, eine idealistische Liebe zu einer Stadt, deren jahrhundertealten Charakter er bewahren und gleichzeitig an die Bedürfnisse der modernen Welt anpassen wollte. In der Hauptstadt des 1871 annektieren Reichslandes Elsass-Lothringen sollte dies auch einen Ausgleich zwischen aus dem Reich eingewanderten NeubürgerInnen und der alteingesessenen Bevölkerung ermöglichen. Nach einer Ausbildung in Berlin und Karlsruhe fand Beblo 1903 in Straßburg ein ideales Betätigungsfeld für eine Reformarchitektur, die sich einem traditionellen Stadtbild verpflichtet fühlte. Es handelte sich um eine Heimatarchitektur, wie sie in Tirol z. B. durch den Münchener Architekten Theodor Fischer vertreten wurde, dem auch Beblo viele Dankanstöße verdankt. Beblos Schulbauten und das Städtische Schwimmbad prägen noch heute das Straßburger Stadtbild und wurden zum Gegenstand einer hauptsächlich von Prof. Kostka kuratierten Ausstellung an der Straßburger Landes- und Universitätsbibliothek (Oktober 2022–Januar 2023), deren Katalog die zweite Auflage erreicht hat.
Christiane Weber brachte auf den Punkt, was in dieser Vortragsreihe und in ihren Forschungen den wesentlichen Aspekt darstellt: „Das Elsass war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, einer Zeit, in der es politisch jeweils abwechselnd Frankreich und Deutschland zugeordnet war, immer ein gemeinsamer Kulturraum, ein Raum der Begegnung und gegenseitigen Bereicherung. Das zeigt sich baugeschichtlich in verschiedensten Projekten – der Rettung des Straßburger Münsters, der Errichtung und Sanierung der Friedenskirche von Fröschweiler und vielen anderen. Selbst wenn es vorkam, dass im Nachhinein die jeweils dominierende Partei den Anteil der anderen tunlichst herunterspielte, so trugen doch Baustile, Technologien und vor allem Personen aus beiden Kulturen zur architektonischen Gestaltung der zweisprachigen Region, die eine kulturelle Brücke bildete, gemeinsam bei.“
(Eva Lavric, Alexandre Kostka)