Am Beispiel der 15 wichtigsten alpinen wirbellosen Arten wie etwa Eintags-, Steinfliegen oder Köcherfliegen sowie Würmern wie den Alpenstrudelwurm hat das Forscher:innen-Team erstmals die Auswirkungen der Klimakrise auf die Biodiversität im gesamten europäischen Alpenraum für einen Zeitraum bis 2100 modelliert. Dazu wurden Gletscher-, Landschafts- und Biodiversitätskartierungsdaten aus den Alpen kombiniert. Leopold Füreder, Leiter der River and Conservation Research Group am Institut für Ökologie, steuerte Analysen der Entwicklung dieser Kaltwasser-Arten vor allem aus der Gletscherregion Rotmoostal im Hinteren Ötztal Tirols für die Modellierungen bei. Die dortigen Flussläufe untersucht der Forscher bereits seit 20 Jahren genau.
Angepasste Kälte-Spezialisten
„Die Larven von Fliegen und Würmern, wie sie in Quell- und Gletscherbächen im hochalpinen Raum vorkommen, sind hochspezialisiert für ihren kalten Lebensraum und spielen in der Nahrungskette eine wichtige Rolle. Durch die Zunahme der Temperaturen schmelzen einerseits die Gletscher, andererseits erwärmt sich auch das Wasser der Bäche. Daher verschiebt sich ihr Refugium in immer höhergelegene Bereiche oder verschwindet im schlimmsten Fall komplett – mit Folgen für das gesamte alpine Ökosystem. Den Kaltwasser-Arten bleibt nur eine Flucht in noch größere Höhen, so lange das überhaupt noch möglich ist“, erklärt Füreder. Kurzfristig werden Gletscherflüsse aufgrund der Schmelze mehr Wasser führen, in langfristiger Perspektive allerdings wird sich die Wassermenge verringern und die Wassertemperatur noch weiter erhöhen. Darin sieht der Ökologie die Gefahr einer Kettenreaktion: „Wir haben dann fehlende Nahrung in Form von Wasserlarven zum Beispiel für Fische wie die Bachforelle, aber auch für terrestrische Tiere wie Vögel, die sich von den ausgewachsenen Wasserinsekten ernähren, bedeutet das Einschnitte in der Nahrungsverfügbarkeit.“
Schutzgebiete ausbauen
Die wenigen Bereiche, die als Lebensraum für die auf Kälte spezialisierten Arten-Gemeinschaften noch bleiben, sollten daher besonders geschützt werden, wie die Autor:innen betonen. Nur etwa 12 Prozent der bis zum Jahr 2100 laut der Modellierungen noch bestehenden Refugien befinden sich in heutigen Naturschutzgebieten. „Da sich die Lage durch die steigenden Temperaturen immer weiter verschärfen wird, müssen wir davon ausgehen, dass sich auch der Druck auf die noch verbleibenden Gletschergebiete erhöhen wird. Die Suche nach schneesicheren Skigebieten ist dabei genauso ein Thema wie der Ausbau der Wasserkraft“, so Leopold Füreder. „Gletscherschutz – und damit Schutz der Biodiversität – bedeutet daher auch die Gletschervorfelder vermehrt zu Naturschutzgebieten zu erklären“.
Publikation
Glacier retreat reorganizes river habitats leaving refugia for Alpine invertebrate biodiversity poorly protected. Wilkes, M.A., Carrivick, J.L., Castella, E. et al. Nature Ecology & Evolution (2023). DOI: 10.1038/s41559-023-02061-5