Der Blockgletscher im Hochebenkar sieht für einen Laien wie eine gewöhnliche Schutthalde aus, ist in Wahrheit aber weitaus interessanter. „Blockgletscher sind Permafrostphänomene, Gemische aus Steinblöcken, Schutt und Eis, die stetig Richtung Tal kriechen. Wenn ein Blockgletscher nicht mehr gleichmäßig fließt, sondern in manchen Bereichen viel schneller wird und sich Risse bilden, spricht man von einer Destabilisierung. Das Material verhält sich dann ähnlich wie bei einer Hangrutschung”, erklärt Lea Hartl vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Eine solche Destabilisierung lässt sich im Hochebenkar im unteren Bereich des Blockgletschers aktuell feststellen. Das berichten Forscher*innen vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck sowie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Unis Heidelberg und Zürich in einer aktuellen Analyse des Tiroler Blockgletschers im Journal Earth Surface Dynamics der European Geosciences Union.
Geschichte des Blockgletscher von 1950 bis heute
„In den letzten Jahren hat sich die Fließgeschwindigkeit stark erhöht und das vermehrte Auftreten von Spalten und Rissen an der Oberfläche zeigt, dass sich auch das Fließverhalten ändert. Der Klimawandel spielt hier sicher eine Rolle, aber wir haben durch die Analyse historischer Daten gesehen, dass es zwischen Anfang der 1950er-Jahre und Mitte der 1970er schon einmal eine Destabilisierung gegeben haben muss”, sagt Hartl.
Durch die Analyse von historischen Aufzeichnungen zur Bewegung des Blockgletschers und einzelner größerer Steinblöcke in Kombination mit Luftaufnahmen und von Drohnen durchgeführten Laserscans konnten die Forscher*innen die Geschichte des Blockgletschers von 1950 bis heute fast lückenlos analysieren und detaillierte Modelle erstellen.
Gefahr durch Steinschlag für Infrastruktur
„Wir sehen, dass solche Destabilisierungen für Blockgletscher zyklische Ereignisse sein können und wissen damit auch, dass sich instabile Bereiche wieder stabilisieren können, ohne dass der gesamte Blockgletscher in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber wenn es zu warm wird und der Permafrost im Blockgletscher taut, bleiben am Ende nur Geröllhaufen”, sagt Hartl.
Im Hochebenkar ist eine Erholung derzeit nicht in Sicht. Der untere Bereich des Blockgletschers bewegt sich mit bis zu 30 Metern pro Jahr auf eine nahe gelegene Straße zu, die zur Versorgung einer Schutzhütte dient. Durch die schnelle Bewegung des Blockgletschers kommt es häufiger zu Steinschlag, der die Straße gefährdet.
„Nur wenn wir verstehen, wie sich das Material verhält, wenn es instabil wird, können wir abschätzen, welche Gefahren von der Destabilisierung ausgehen und ob es hier und an anderen Blockgletschern auch zu größeren Rutschungen kommen kann”, sagt Hartl. Durch moderne Werkzeuge wie GPS, Drohnen und hochauflösende Luftaufnahmen lassen sich die Bewegungen einzelner Blöcke und die Entwicklung von Rissen und Spalten im Geschiebe schon exakt erfassen, das Verhalten im Inneren ist aber noch wenig erforscht.
„Wir vermuten, dass flüssiges Wasser für die Destabilisierung eine wichtige Rolle spielt. Das Wasser dient als Gleitmittel und der Blockgletscher rutscht bergab. Je weiter der Blockgletscher nach unten fließt, desto wärmer wird die Umgebung und der Prozess beschleunigt sich. Die Fließdynamik ist aber noch kaum erforscht. Wenn wir die bestehenden Beobachtungen weiterführen und mit neuen Methoden ergänzen, haben wir gute Chancen, die Bewegung der Blockgletscher und die potenziellen Gefahren besser zu verstehen”, so Hartl.
Publikation
Multi-sensor monitoring and data integration reveal cyclical destabilization of the Äußeres Hochebenkar rock glacier”, Lea Hartl, Thomas Zieher, Magnus Bremer, Martin Stocker-Waldhuber, Vivien Zahs, Bernhard Höfle, Christoph Klug, and Alessandro Cicoira, Earth Surface Dynamics, 2023 (Open Access) DOI: 10.5194/esurf-11-117-2023