Kalziumkanäle sind Poren in der Zellmembran, die fast im ganzen Körper zu finden sind. „Kalziumkanäle kommen beispielsweise im Ohr, im Herzen, in hormonbildenden Geweben oder im Nervensystem vor und kontrollieren dort in der Zellmembran den Einstrom von Kalzium. Da Kalzium ein Signalmolekül ist, das viele Prozesse in der Zelle starten kann, ist diese Kontrolle sehr wichtig“, erklärt Nadine Ortner, Wissenschaftlerin am Institut für Pharmazie. Sie beschäftigt sich mit einem Subtyp der spannungsabhängigen Kalziumkanäle des L-Typs mit der Bezeichnung Cav1.3. Die Wissenschaftlerin hat schon im Rahmen ihrer Dissertation in der Arbeitsgruppe von Jörg Striessnig am Institut für Pharmazie der Uni Innsbruck an diesem speziellen Kalziumkanal geforscht. Dabei fanden die Wissenschaftler:innen heraus, dass eine Fehlfunktion des Kalziumskanals Cav1.3 eine komplexe Entwicklungsstörung zur Folge hat, über die noch relativ wenig bekannt ist. „Wir wissen bisher von mindestens 13 Patientinnen und Patienten, die an dieser Entwicklungsstörung mit einer Reihe von unterschiedlich stark ausgeprägten Symptomen – vom Autismus-Spektrum über autoaggressives Verhalten, Epilepsien bis hin zu hormonellen Störungen – leiden“, erklärt Nadine Ortner. „Im Moment ist es aufgrund der geringen Zahl an Patient:innen allerdings noch schwierig, ein genaues Muster zu sehen.“
Genmutation
Verantwortlich für die Fehlfunktion des Kalziumkanals Cav1.3 ist eine Mutation an seinem kodierenden Gen CACNA1D. Im Rahmen ihres vom FWF geförderten Projekts hat sich die Molekularbiologin auf eine der zehn bisher bekannten Mutationsformen, die in einer Patientin mit Autismus und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen gefunden wurde, fokussiert und hat genauer untersucht, was der veränderte Kalzium-Einstrom über den mutierten Cav1.3 Kalziumkanal im Organismus bewirkt. „Da der Botenstoff Dopamin emotionale, motorische und kognitive Funktionen steuert und Cav1.3 Schlüsselrollen im Dopamin-Mittelhirnsystem erfüllt, sind wir davon ausgegangen, dass die erhöhte Aktivität des Kalziumkanals Cav1.3 zu Veränderungen in diesem System im Gehirn und zu den beobachteten Symptomen führt“, erläutert Nadine Ortner. Um diese Hypothese zu bestätigen, hat die Molekularbiologin ein Mausmodell mit genau dieser Mutation entwickelt, an dem sie bereits ähnliche Auffälligkeiten wie bei betroffenen Patient:innen feststellen konnte. „Zudem können wir nicht nur Kalziumströme selbst, sondern auch die Dopaminfreisetzung während einzelner Verhaltensweisen messen“, so Ortner. „Dies hilft uns, die einzelnen Prozesse sowie die betroffene Hirnbereiche zu identifizieren, die zu dem Krankheitsspektrum beitragen.“ Erste Ergebnisse dieser Studie konnte Ortner nun im Journal JCI Insight publizieren. „Die Experimente mit meinem Mausmodell haben gezeigt, dass die Mutation zu einer Störung der Funktion der Kalziumkanäle und zu Verhaltensweisen führten, die typisch für das erst kürzlich beschriebene Krankheitsbild sind, wie Hyperaktivität und soziale Defizite. Somit bestätigen unsere Ergebnisse, dass die A749G-Mutation krankheitsauslösend sein kann. Zudem weisen sie darauf hin, dass die Beeinträchtigung der Dopamin-Signalwege im Gehirn eine Rolle bei der Entstehung dieser Störungen spielt“, beschreibt Ortner. Ein erster kurzer Behandlungsversuch mit einem klinisch zugelassenen Kalziumkanal-Blocker konnte leider keine eindeutige Verbesserung in dem neuen Mausmodell auslösen, dies wollen die Forscher:innen jedoch weiter untersuchen.
Darauf aufbauend will die Wissenschaftlerin nun in Zukunft weiterführende Studien zu diesen Fehlfunktionen im Dopaminsystem im durchführen. „Im Rahmen des vom FWF geförderten CavX-PhD-Programms an den Innsbrucker Universitäten untersuche ich gemeinsam mit Kolleg:innen und Studierenden verschiedene Behandlungsansätze sowie neue Mutationen an CACNA1D, um die auftretenden Krankheitsbilder – in den 13 Patient:innen werden zehn verschiedene Mutationen beschrieben – besser zu verstehen“, erklärt Nadine Ortner. Zudem will sie gemeinsam mit Petronel Tuluc und Stefanie Geisler vom Institut für Pharmazie eine inneruniversitäre Forschungskooperation mit den Arbeitsgruppen von Christopher Esk und Frank Edenhofer am Institut für Molekularbiologie ausbauen. „Wir wollen den Einfluss verschiedener Mutationen auf verschiedene Zelltypen besser verstehen und ein Gesamtbild zu Krankheitsauslösenden CACNA1D Mutationen, Cav1.3 Funktion und klinischen Symptomen generieren. Das Know-How von Frank Edenhofer und Christopher Esk um induzierte pluripotente Stammzellen und Gene-Engineering stellt hier eine große Bereicherung dar“, so Ortner.