Moleküle können sich in einem Kristall auf unterschiedlichste Weise anordnen. Die Kristallstruktur hat einen starken Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften eines Stoffes, wie Stabilität und Löslichkeit. Diese wiederum sind entscheidend für die Wirksamkeit zum Beispiel von Arzneimitteln. In der Produktion ist ein erheblicher Aufwand notwendig, um sicherzustellen, dass nur die bevorzugte Festform eines Arzneistoffes hergestellt und verarbeitet wird und diese sich durch die Verarbeitung und Lagerung nicht verändert.
Über die Bestimmung der Gitterenergie und freien Energie einer Kristallstruktur kann vorhergesagt werden, wie stabil ein fester Stoff ist. Dadurch können die Risiken in Produktion und Lagerung minimiert werden. Allerdings lassen sich viele metastabile Kristallformen in reiner Form nur schwer herstellen und sind häufig anfällig für die Umwandlung in stabilere Formen. Die mögliche Instabilität solcher Kristallformen, kann nur über die Berechnung ermittelt werden. Bisher war der Mangel an zuverlässigen experimentellen Vergleichsdaten ein großes Problem für die Entwicklung von Berechnungsmethoden zur genauen Vorhersage von Unterschieden in der freien Energie zwischen Feststoffen. Doris Braun vom Institut für Pharmazie der Universität Innsbruck war Teil eines internationalen Teams, das die ersten zuverlässigen experimentellen Daten für verschiedene industriell relevante Kristallformen zusammengestellt hat.
Neue Methode genau und kostengünstig
Ausgestattet mit zuverlässigen experimentellen Daten, anhand derer neue Berechnungsmethoden getestet und validiert werden können, hat der Software-Entwickler AMS mit der Einführung der neuen Methode TRHu(ST) 23 für die Berechnung der temperatur- und feuchtigkeitsabhängigen freien Energien sowohl die Genauigkeit als auch die Erschwinglichkeit solcher Prognosen erheblich verbessert. Die Fähigkeit, die Stabilität von Kristallformen unter realen Bedingungen vorherzusagen, wird die Auswahl fester Formen und die Gestaltung von Prozessen in der Industrie voraussichtlich verändern. Doris Braun pflichtet dem bei und fügt hinzu: „In dem wir die Kluft zwischen den Anforderungen von Experimenten und den rechnerischen Möglichkeiten erheblich verringern, ermöglichen wir der Industrie eine bessere Kontrolle bei der Auswahl von Kristallformen, was letztlich die Sicherheit von (pharmazeutischen) Produkten erhöht.“
Der interdisziplinäre Charakter dieser Zusammenarbeit hat nicht nur die Entwicklung modernster Methoden und Software beschleunigt, sondern auch für deren rasche Übernahme durch die pharmazeutische Industrie gesorgt. Alexandre Tkatchenko von der Universität Luxemburg: „Es freut mich zu sehen, wie die in meiner Gruppe entwickelten Berechnungsmethoden innerhalb weniger Jahre von der pharmazeutischen Industrie zur zuverlässigen Vorhersage der energetischen Eigenschaften von Arzneistoff-Kristallformen übernommen wurden und damit die traditionelle Grenze zwischen Forschung und industrieller Innovation durchbrochen wurde.“
Erfolgreiche Zusammenarbeit
„Das Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts für reale Anwendungen durch diese einzigartige Partnerschaft mit AMS ist wirklich erstaunlich. Dies zeigt sich am deutlichsten am Fortschritt bei den Vorhersagen über die Auswirkungen von Wasser auf Kristallformen und ihre relative thermodynamischen Stabilität“, sagt Ahmad Sheikh, Mitautor der Studie und Global Head of Molecular Profiling and Drug Delivery bei AbbVie, einem weltweit tätigen biopharmazeutischen Unternehmen.
AMS, ein Pionier auf dem Gebiet der organischen Kristallstrukturvorhersage und Entwickler der weltweit führenden GRACE-Software, hat in den vergangenen 15 Jahren wichtige Entwicklungen auf diesem Gebiet vorangetrieben. Marcus Neumann von AMS betont: „Wir verdanken einen großen Teil unseres Erfolges den Visionären unter unseren Kunden, die es uns ermöglicht haben, ein industrielles Arbeitsumfeld mit einem akademischen Touch zu schaffen, das Kreativität auf der Grundlage von Grundwerten wie Ehrlichkeit, Integrität, Ausdauer, Teamgeist und echter Sorge für Mensch und Umwelt fördert.“
Publikation: Predicting crystal form stability under real-world conditions. Marcus Neumann et.al. Nature 2023 DOI: 10.1038/s41586-023-06587-3