Vor zwei Jahren konnten Passant*innen in Innsbruck ein ungewohntes Schauspiel beobachten: Auf mehreren Grünflächen verfingen sich Meisen in aufgespannten Netzen, um sogleich von zwei Wissenschaftlerinnen befreit zu werden. Nachdem die Vögel eingehend geprüft und vermessen wurden, durften sie wieder unbeschadet davonfliegen. Diese Aktion war Teil einer Studie der Zoologin Marion Chatelain, die am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck die Auswirkungen von Vogelfütterung an Kohl- und Blaumeisen untersucht.
Ab 1. März geht die Studie nun in die zweite Runde. An 90 sorgfältig ausgewählten Orten sollen über den Zeitraum von zwei Jahren, jeweils zur Brutzeit und im Winter, feine Japannetze neben einem Lautsprecher aufgestellt werden, der Meisenrufe von sich gibt und die Vögel so anlockt. Die gefangenen Meisen werden sofort befreit, untersucht, beringt und wieder freigelassen. Passant*innen sollten sich also nicht wundern, wenn sie eine Meise im Netz sehen – und vor allem nicht versuchen, den Vogel zu befreien, denn dabei könnten die Tiere verletzt werden.
„Wir beobachten die Netze und befreien die Vögel sofort“, erklärt Chatelain. „Dafür gibt es eine spezielle Technik, die man kennen muss. Bei unserer Versuchsserie vor zwei Jahren haben wir ungefähr 500 Vögel auf diese Art eingefangen und wieder freigelassen, kein einziger wurde dabei verletzt.“
Neue Forschungsziele
Chatelain forscht im Rahmen des Elise-Richter-Programms des FWF. Dieses fördert hochqualifizierte Frauen in Wissenschaft und Forschung. Auch wenn das Vorgehen in Chatelains Projekt sehr ähnlich zu dem vor zwei Jahren ist, so unterscheidet sich doch das Ziel der Untersuchungen: ging es bei der letzten Studie um die Auswirkung des Nahrungsangebots auf das Wanderverhalten von Meisen, so geht es nun um die evolutionären Auswirkungen der Vogelfütterung: Es soll gezeigt werden, ob die Anpassung an Fütterung und Stadtleben bis in die Gene der Vögel reicht und damit weitervererbt wird – und wie diese Anpassung überhaupt aussieht. So ist das Futter in Städten nicht so vielfältig wie außerhalb, dafür aber reichhaltig vorhanden. Wie sich das auf Körperbau, Verhalten und Wanderung der Vögel auswirkt, das will Chatelain herausfinden.
So prüft sie zum Beispiel die Theorie, dass Fütterung zu einer Veränderung der Schnabelform geführt hat. Normalerweise ernähren sich Meisen von einer Mischung aus Kernen, Früchten, Insekten und anderen Kleintieren. Besteht die Nahrung aber hauptsächlich aus Kernen, wäre ein kürzerer, kräftigerer Schnabel mit größerer Beißkraft von Vorteil.
Mithilfe der Bevölkerung gefragt
Für die erfolgreiche Durchführung der Studie sind auch die Innsbrucker*innen gefragt:
Wie auch bei der vergangenen Untersuchung werden die untersuchten Vögel zur Identifikation mit farbigen Ringen gekennzeichnet. Der Standort (Adresse oder GPS-Koordinaten) der Sichtung einer gekennzeichneten Meise und der entsprechende Farbcode können Marion Chatelain gesendet werden.
Helfen kann auch, wer für die Beobachtungen einen Garten zur Verfügung stellen möchte. „Der größte Teil aller Grünflächen in der Stadt ist in Privatbesitz“, sagt Chatelain. „Deswegen sind wir auch darauf angewiesen, dass Leute uns ihren Garten anbieten.“
Wer also die Forschung zu Kohl- und Blaumeisen unterstützen oder eine Sichtung melden möchte, kann sich direkt bei Marion Chatelain melden: marion.chatelain@uibk.ac.at