Tel Shimron liegt in der südlichen Levante, im Norden Israels. Seit dem Jahr 2017 forscht Mario Martin vom Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik gemeinsam mit internationalen Kolleg:innen in dieser bisher wissenschaftlich unberührten Stadt. Der Experte für die mittlere Bronzezeit erzählt von einem ganz besonderen Fund. „Wir haben das erste noch vollständig erhaltene Kraggewölbe aus Lehmziegeln gefunden. Dabei handelt es sich um eine Vorform des Gewölbebaus in der südlichen Levante“, erläutert Martin, den sich der außergewöhnliche Erhaltungszustand erstaunt. Als Kraggewölbe oder „Falsches Gewölbe“ wird diese spezielle Vorform des Gewölbebaus bezeichnet. Dabei werden die einzelnen Ziegel nicht wie später stehend aufgefächert, sondern liegend, immer weiter eingerückt. Diese spezielle Technik sei zu der Zeit bereits aus dem nördlich gelegenen Mesopotamien bekannt, nicht aber in der südlichen Levante. „Wir haben zwar vermutet, dass diese Form der Architektur auch damals schon bis nach Israel vorgedrungen sein könnte, allerdings fehlte dafür noch der Beweis. Ein vollständig erhaltenes Gewölbe tatsächlich zu finden, ist sensationell“, so der Archäologe.
Eigentlich unmöglich
An der Luft getrocknete Lehmziegel sind extrem empfindlich auf jegliche Art von Witterung. „Schon ein Tag im Regen würde die nicht einmal gebrannten Ziegel zerstören. Zusätzlich würden Wind und Stürme dazu beitragen, dass die Ziegel nur eine sehr kurze Lebensdauer haben“, erläutert Martin, der den unvergleichlichen Erhaltungszustand nur dadurch erklären kann, dass das Gewölbe und der angrenzende Gang nur sehr kurz von den Menschen in Tel Shimron genutzt wurde. „Sprechen wir von Grabungen in der Levante von vor 4000 Jahren, dann finden wir meist nur die unterste Lage der Gebäudefundamente. Wie das Gebäude ausgesehen hat, welche Höhe, Form und Funktion es erfüllte, das können wir nur gedanklich rekonstruieren“, so der Wissenschaftler. Steinarchitektur wie sie beispielsweise im Forum Romanum oder in Ephesos erhalten ist, komme in seinem Spezialgebiet eigentlich nie vor. Umso mehr freut sich Martin über das gefundene aus tausenden perfekt erhaltenen Schlammziegeln gebaute Monument, das sich auf der Akropolis von Tel Shimron befindet.
Neuland in allen Epochen
Die kanaanitische Stadt Tel Shimron lag an einer der wichtigsten bronze- und eisenzeitlichen Handelsstraßen zwischen Ägypten und Mesopotamien und erreichte in der mittleren Bronzezeit um 1800 v.Chr. seine Blüte in der über 6000-jährigen Siedlungsgeschichte. Zu dieser Zeit sei die etwa 20 Hektar umfassende Anlage vollständig besiedelt gewesen. „Zwar interessiere ich mich als Experte für diese Zeit besonders, allerdings erforschen wir gerade gleichzeitig die unterschiedlichsten Epochen“, so Martin. Typisch war damals die Besiedelung von Hügeln, den sogenannten Tells. Dabei haben die aufeinander folgenden Kulturen ihre Siedlungen immer übereinander gebaut, ohne die darunter liegenden Ruinen abzutragen. „Beginnen wir mit einer Grabung, dann finden wir die Überreste aus der modernsten Siedlung als erstes. Bis wir in die unteren Schichten vorgedrungen sind, vergehen oft Jahrzehnte“, erläutert der Archäologe. Im Fall von Tel Shimron hatten die Wissenschaftler:innen allerdings Glück. Die Stadt war nicht ständig komplett besiedelt. Häufig wurden nur Teile des Areals genützt. „Wir befinden uns in der glücklichen Situation, dass wir eine jüdische Stadt aus der Römerzeit, ein Kraggewölbe aus der mittleren Bronzezeit oder Fundstücke aus dem 16. Jahrhundert n.Chr. gleichzeitig erforschen können. Dabei lernen wir als Expert:innen für bestimmte Epochen ständig Neues über andere Zeitalter“, so Martin über die eher ungewöhnliche Forschungssituation. Tel Shimron habe auch in der Zeit der großen Könige in Ägypten, wie Tutenchamun oder Ramses II., eine wichtige Rolle gespielt. In zwei der sogenannten Amarna-Briefe wurde die Stadt in der Korrespondenz zwischen dem Pharao und seinen Vasallen erwähnt. Dass Tel Shimron bisher noch nicht archäologisch bearbeitet wurde, ist auch für Mario Martin erstaunlich. „Tel Shimron ist einer der größten Tells überhaupt in Israel. Deswegen, und aufgrund seiner belegten Bedeutung in der Geschichte, ist es umso erstaunlicher, dass dieser Ort bisher noch nicht ausgegraben wurde. Für uns ist das eine sehr spannende Aufgabe“, erläutert Martin, der betont, dass er mit seinem Team noch mindestens weitere zehn Jahre dort forschen möchte.