„Machtvoll ist er aus der Erde gewachsen und wird, soviel sich heute erkennen läßt, in seiner Gesamtheit eine ziemlich befriedigende Bereicherung des Stadtbildes werden.“ So beschreibt der „Tiroler Anzeiger“ den nunmehr fertiggestellten Rohbau der Universitätsbibliothek in seiner Ausgabe vom 13. Dezember 1912. Dass es weitere fast zwölf Jahre dauern sollte, bis die Bibliothek – und neben ihr auch das Hauptgebäude der Universität – ihrer ursprünglichen Funktion übergeben werden sollten, ahnte im Dezember 1912 wohl kaum jemand.
100 Jahre Bibliotheksbau
Die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Tirol feierte im Oktober 2024 100 Jahre Bibliotheksbau am Innrain. Neben einer Festveranstaltung mit öffentlichen Führungen durch das Gebäude war eine virtuelle Ausstellung zur Baugeschichte Teil der Feierlichkeiten. Die Ausstellung haben Maritta Horwath, Hartwig Musenbichler und Patrik Kennel von der ULB gestaltet und sich dafür tief in die Archive begeben: „Zum Bau der Bibliothek haben wir unterschiedlichste Quellen ausgewertet, von Zeitungsartikeln über den Bau bis hin zu den Bauakten, die teilweise im Tiroler Landesarchiv liegen, außerdem haben wir mit Unterlagen aus dem Universitäts- und aus dem Stadtarchiv gearbeitet“, erklärt Maritta Horwath.
Erste Debatten über den Platzmangel an Universität und Bibliothek gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts – Universität, Bibliothek, Botanischer Garten und Gymnasium befanden sich zu dem Zeitpunkt alle in der Universitätsstraße und vor allem die Bibliothek platzte aus allen Nähten, wie zum Beispiel der „Allgemeine Tiroler Anzeiger“ am 7. Dezember 1910 eindrücklich schreibt: „Wer die geradezu skandalösen Zustände kennt, wie sie beispielsweise in der Universitätsbibliothek, in den einsturzdrohenden Hörsälen der weltlichen Fakultät, welche Ställen gleichen, und namentlich in der theologischen Fakultät, wo eine große Hörerschaft aller Länder Europas und aus Amerika in einer Weise zusammengepfercht ist [...] herrschen, der muß sich versucht fühlen, über den Kulturstaat Oesterreich das schärfste Urteil zu fällen.“ Dem vorangegangen war ein Streik der damaligen Student:innen, der zuständige Minister sagte daraufhin einen Baubeginn 1911 zu.
Die Frage nach dem Ort
Ab 1899 begannen erste Überlegungen für eine Sanierung bzw. für die Planung eines Neubaus von Universität und Bibliothek, ursprünglich noch gemeinsam mit Botanischem Garten und Gymnasium (dem heutigen Akademischen Gymnasium). Eng damit verbunden war stets die Frage nach dem Ort. Dass Universität und ULB heute am Innrain stehen, am sogenannten „Prügelbaugelände“, war lange Zeit nicht so klar und auch sehr umstritten, wie Hartwig Musenbichler erläutert: „Lange war ein Erweiterungsbau am Standort Universitätsstraße geplant. Das Prügelbauareal am Innrain kommt schon relativ früh ins Spiel, außerdem aber auch Standorte am Rennweg, im Saggen und in der Nähe der Triumphpforte.“ Gegen das Prügelbaugelände sprach vor allem die exponierte Lage direkt am Inn. Der ehemalige Prügelplatz war lange ein Umschlagplatz zum Holz-Flößen – daher auch der umgangssprachliche Name, gemeint waren „Holzprügel“ –, und der Inn musste erst entsprechend reguliert werden, damit das Bauland als vor Hochwasser gesichert galt. „Wir können größere Teile der damaligen Diskussion noch gut nachverfolgen. Die Mediziner waren für das Prügelbauareal, auch, weil Teile der Klinik damals schon an diesem Ort angesiedelt waren. Professoren anderer Fachrichtungen sprachen sich aus demselben Grund gegen das Areal aus – das Argument war, man wolle nicht neben dem ‚Siechenhaus‘ arbeiten, das sei ungesund“, sagt Patrik Kennel. Im März 1910 fiel schließlich die endgültige Entscheidung für einen Bau am heutigen Innrain – ohne das Akademische Gymnasium, das bis heute hinter dem Landesmuseum zu finden ist, und den Botanischen Garten, der letztlich von der Universitätsstraße nach Hötting zieht.
Zäsur 1914
Die Übersiedelung der Bibliothek aus der Universitätsstraße an den Innrain war ursprünglich für den Oktober 1914 geplant. „Die Planung war auch schon sehr weit fortgeschritten und auch der Baufortschritt ließ einen Umzug im Herbst realistisch erscheinen. Es gab schon konkrete Pläne für die Möblierung und eine Einteilung, wo neue Möbel stehen sollten und wo alte aus der Universitätsstraße verwendet würden“, sagt Hartwig Musenbichler. Der Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 setzte diesen Planungen ein jähes Ende und es sollte zehn Jahre dauern, bis die Bibliothek tatsächlich in das Gebäude ziehen würde. „Für die Phase unmittelbar vor dem Umzug gibt es auch sehr viel Quellenmaterial, da sehen wir schon in Details, wie der neue Ort geplant wurde und auch der Umzug als solcher war schon sehr konkret – dass das dann jäh gestoppt wurde, muss auch auf individueller Ebene für alle Beteiligten sehr bedrückend gewesen sein“, beschreibt Maritta Horwath die Situation. Während des Kriegs wurde das Gebäude als eins von mehreren Lazaretten für Kriegsverwundete genutzt, von 1918 bis 1920 war die italienische Militärbesatzung im Bibliotheksbau untergebracht. Die durch diese doppelte Nutzung entstandenen Schäden mussten danach erst beseitigt werden, zugleich fand ein Architekturwettbewerb der (neuen) Tiroler Landesregierung zu einer – letztlich nicht erfolgten – Umgestaltung des Areals statt. Die Bibliothek zog schießlich 1924 in die neuen Räumlichkeiten. Die Planung erwies sich allerdings als weitsichtig: Von Beginn weg war ausreichend Platz eingeplant, um die Bibliothek und vor allem deren Magazin auch erweitern zu können – das ist seither durch Neu- und Anbauten mehrfach geschehen.
Genau 100 Jahre nach der offiziellen Eröffnung, am 23. Oktober 2024, beging die ULB Tirol das Jubiläum ihres „Altbaus“ am Innrain. Teil der Feier waren öffentliche Führungen durch das Gebäude, im Anschluss fand ein kleiner Festakt mit einem Vortrag der Architektin Vera Oberlechner statt. Auch die virtuelle Ausstellung mit vielen weiteren Details wurde dabei öffentlich präsentiert.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert erschienen und wurde leicht aktualisiert. Eine digitale Ausgabe finden Sie hier.