Chiara Herzog in einem weißen Labormantel mit langen dunklen Haaren steht mit verschränkten Armen in einem Labor.

Chiara Herzog forscht an Biomarkern des Alterns und hat die neuen Richtlinien zu deren Standardisierung mitgestaltet.

Bio­mar­ker des Alterns bes­ser in Medi­zin inte­grie­ren

Das biologische Alter von Menschen und ihr zukünftiger Gesundheitszustand könnten sich anhand von Biomarkern des Alterns feststellen lassen. Lücken zwischen Forschungen und der Anwendung solcher Biomarker im Gesundheitswesen wollen Chiara Herzog vom European Translational Oncology Prevention and Screening Institute und ihre Kolleg:innen des „Biomarkers of Aging Consortiums“ schließen. Sie haben im Fachblatt Nature Aging eine Studie zu Hindernissen für die klinische Umsetzung veröffentlicht.

Chiara Herzog vom European Translational Oncology Prevention and Screening Institute (EUTOPS) der Universität Innsbruck forscht an so genannten Biomarkern des Alterns. Die Marker sind biologischen Merkmale, die das biologische Alter von Menschen, u.a. molekulare und zelluläre Schäden, und das Risiko für zukünftige altersbedingte Krankheiten – oder die Resilienz ihnen gegenüber – aufzeigen. Damit könnten Früherkennung und Risikovorhersage von chronischen Krankheiten optimiert werden. Auch könnten solche Biomarker hilfreich sein, vorherzusagen, wie Personen auf Stressfaktoren, zum Beispiel Operationen, reagieren und somit verschiedene Lebensumstände berücksichtigt werden. Diese Marker würden die Möglichkeit bieten, medizinische oder gesundheitsfördernde Behandlungen stärker zu personalisieren.

Besonders in den letzten Jahren wird im Feld der Epigenetik und auch in weiteren molekularen Bereichen intensiv an diesen Biomarkern geforscht. Ihre tatsächliche Anwendung in der klinischen Medizin, Forschung und Prävention steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Erstautorin Chiara Herzog und ihre Kolleg:innen vom „Biomarkers of Aging Consortium" haben im Zuge ihres Symposiums in Kalifornien 2023 Expert:innen zur Umsetzung befragt und die Ergebnisse jetzt im Fachjournal Nature Aging veröffentlicht.

Sie identifizieren sechs Haupthindernisse für die klinische Anwendung (gemeinsame Datennutzung, Beurteilungsmaßstäbe, Altersspanne, Kriterien zur Umsetzung, Positionierung in der Gesundheitsvorsorge, Bezug zu medizinischen Erkenntnissen) und schlagen Leitlinien für die Überwindung dieser Hürden vor. Dadurch sollen Lücken zwischen Biomarker-Forschungen und dem Gesundheitswesen geschlossen werden.

Publikation in Englisch:
Chiara Herzog et. al: Challenges and recommendations for the translation of biomarkers of age. In: Nat Aging (2024). DOI: 10.1038/s43587-024-00683-3

Welchen Nutzen haben Biomarker des Alterns für die Bevölkerung und deren Gesundheit?
Chiara Herzog: Durch medizinische Fortschritte altern wir als Bevölkerung immer mehr – leider allerdings nicht immer gesund, da das Alter Risikofaktor Nummer 1 für viele Erkrankungen ist. Die Hypothese der Gerowissenschaften besagt, dass durch eine Verlangsamung oder Umkehrung des biologischen Alterungsprozesses vielen Erkrankungen gleichzeitig vorgebeugt werden kann. Somit könnten wir länger gesund bleiben. Wir wissen heute schon, dass das in Tiermodellen und in Zellkultur prinzipiell möglich ist. Wir wissen auch, dass das biologische vom chronologischen Alter – also der Zeit seit unserer Geburt – entkoppelt ist. Mithilfe von Biomarkern des Alterns könnten wir die individuelle Alterung schon in jungen Jahren messen und bereits vor Entstehung altersbedingter Krankheiten eingreifen, wie auch die Effektivität bestimmter Eingriffe messen. Diese Forschung hat somit enormes Potenzial für die langfristige Gesundheit der Bevölkerung.

In welchen Bereichen des Gesundheitswesens sind welche Biomarker des Alterns schon integriert?
Chiara Herzog: Der Begriff „Biomarker des Alterns“ umfasst alle Indikatoren des biologischen Alters und wir verwenden bereits jetzt schon einige solcher Indikatoren, wenn auch indirekt, im Gesundheitswesen: viele Routineblutparameter, zum Beispiel Kennzahlen von Entzündungen oder Diabetes, aber auch funktionelle Leistungsindikatoren (z.B. maximale Sauerstoffaufnahme), verändern sich mit dem Alter. Sie können gezielte Informationen über (altersbedingte) Prozesse in unserem Körper geben. In den letzten Jahrzenten gibt es außerdem immer mehr Interesse an so genannten integrativen, „omic“-Biomarkern, zum Beispiel die Epigenetik. Diese Biomarker sind besonders spannend, weil sie mehr Informationen bieten können, aber sie sind noch nicht in breiter Anwendung.

Warum werden diese Biomarker noch nicht breitflächig in der Medizin eingesetzt?
Chiara Herzog: Es gibt dafür mehrere Gründe. Zum einen sind diese Biomarker relativ neu und somit noch nicht ausreichend für klinische Anwendung geprüft, obwohl es immer mehr Hinweise für deren Aussagekraft gibt. Andererseits werden viele dieser Biomarker durch computergestützte Modelle oder mit KI entwickelt und man weiß im Gegensatz zu etablierten Labormesswerten wie erhöhtem Blutzucker oder -fett noch nicht genau, welche gezielten Handlungen man anbieten soll oder kann. Prinzipiell brauchen wir aktuell klare Studien, die zeigen: eine Person mit erhöhtem Biomarker X profitiert von Intervention Y, um Krankheit Z vorzubeugen, und eine Senkung des Biomarkers ist auch mit einer Verringerung des Krankheitsrisikos verbunden. Letztlich spielen auch die Kosten eine Rolle – aktuell sind die meisten solcher neuen Biomarker-Tests nur für Selbstzahler erhältlich. In der Zukunft sollten solche Tests für jede:n erhältlich sein, um Ungleichheiten im Gesundheitssystem vorzubeugen.

In welchen Gesundheitsbereichen sehen Sie Handlungsbedarf?
Chiara Herzog: Biomarker haben das Potenzial, alle Gesundheitsbereiche positiv zu beeinflussen. Wir wissen, dass Biomarker des Alterns bereits früh ein erhöhtes biologisches Alter anzeigen könnten: somit könnte man schon vor Beginn von allfälligen Krankheitssymptomen eingreifen und gezielt vorbeugen. Dazu braucht es auch ein Umdenken im gesamten Gesundheitssystem, um die Optimierung und den Erhalt der Gesundheit an erster Stelle zu sehen. Aktuell werden weniger als 3% der Kosten des Gesundheitssystems für Krankheitsvorbeugung ausgegeben.

Inwiefern kann das Konzept von Open Science helfen?
Chiara Herzog: Es gibt bereits einige vielversprechende Biomarker des Alterns, aber um deren Umsetzung in der klinischen Anwendung zu erleichtern, müssen wir deren Eigenschaften gründlich und in möglichst vielen Bevölkerungsgruppen testen. Dazu braucht man viele Daten. Frustrierenderweise gibt es bereits viele Datensätze – oft durch öffentliche Gelder finanziert – aber es ist meist schwierig, langwierig, oder schlicht nicht möglich Zugriff darauf zu erhalten. Auch sind Daten oft nicht gut strukturiert, was sie für die Zukunft unbrauchbar macht. Beides kann letztendlich eine Ressourcenverschwendung darstellen. Die EU und andere Förderer geben mittlerweile „Open Science“ (also transparente Forschung, Teilen von Daten) immer mehr Priorität, um einen Mehrwert für Förderung zu schaffen. Auch brauchen wir klare Richtlinien und eine Standardisierung von Datensätzen für neue Anwendungen – alles natürlich unter Wahrung der Sicherheit von personenbezogenen Daten.

Welche weiteren Schritte sollten gesetzt werden, um die Biomarker des Alterns besser in die Gesundheitsvorsorge zu integrieren?
Chiara Herzog: In unserer neuesten Arbeit haben wir einige zentrale Punkte identifiziert, die die wichtigsten nächsten Schritte darstellen. Zum einen braucht es eine Harmonisierung von großen Datensätzen, um direkt vergleichen zu können, welche der verschiedenen Biomarker tatsächlich (am besten) funktionieren und in klinischer Anwendung getestet werden könnten. Auch die Interaktion mit Forscher:innen und Mediziner:innen spielt eine wichtige Rolle, da diese Informationen für die Priorisierung und Entwicklung solcher Biomarker geben können – wir suchen aktiv nach Kooperationen auf diesem Feld. Schließlich muss es genügend Förderung für die hochqualitative Testung solcher Biomarker geben und auch eine Unterstützung des Gesundheitssystems mit einem Fokus auf Prävention.

Welchen Stellenwert könnten Biomarker des Alterns in der klinischen Forschung und Krankheitsprävention in Zukunft einnehmen?
Chiara Herzog: Es ist unsere Hoffnung, dass Biomarker den Wechsel zu stärkerer Prävention unterstützen können und in weiterer Folge weniger Personen an chronischen Erkrankungen leiden werden. Dieses Umdenken kann die Gesundheitssysteme langfristig entlasten und auch die Lebensqualität des/der Einzelnen verbessern. Während es vermutlich noch einige Jahre dauern wird, bis wir solche Biomarker des Alterns im klinischen Alltag verwenden, könnten die vielversprechendsten Biomarker schon jetzt in der klinischen Forschung Anwendung finden, zum Beispiel um zu testen, ob gezielte Behandlungen bei Personen mit erhöhtem biologischen Alter langfristig zu besserer Gesundheit führen.

 

Chiara Herzog organisiert 2024 ein weiteres Treffen des „Biomarkers of Aging Consortium” an der Harvard Medical School, um weitere Schritte zu besprechen.

Zur Person

Die Neurowissenschaftlerin und Molekularmedizinerin Chiara Herzog ist als Postdoc am EUTOPS-Institut der Universität Innsbruck tätig. Sie leitet u.a. mehrere Projekte zur Früherkennung und Risikovorhersage von Biomarkern für Alterungsprozesse und Krebserkrankungen. Sie hat neue Richtlinien zur Standarisierung von Biomarkern des Alterns mitgestaltet. Als Co-Leiterin begleitet sie die TirolGESUND-Studie, welche Krankheitsvorbeugung und Effekte von Lebensstilumstellungen (Rauchstopp, Fasten, Sport) untersucht.

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