Vier Personen stehen in einer Reihe und blicken in die Kamera.

Freuten sich über die Übernahme des umfangreichen Verlagsarchivs (v.l.): Herwig van Staa (Landesgedächnisstiftung), Rektorin Veronika Sexl, Ulrike Tanzer (Forschungsinstitut Brenner-Archiv) und Arno Kleibel vom Otto Müller Verlag.

Bren­ner-Archiv über­nimmt Otto-Mül­ler-Ver­lags­ar­chiv

Das umfangreiche Otto-Müller-Verlagsarchiv wird vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck übernommen. Das in seiner Geschlossenheit kulturgeschichtlich bedeutende Archiv dokumentiert über fünf Jahrzehnte literarischen und kulturgeschichtlichen Geschehens in Österreich (1937–1990).

„Dieses Verlagsarchiv ergänzt die am Brenner-Archiv schon vorhandenen Bestände, etwa von Christine Busta, Ludwig Ficker, Michael Guttenbrunner, Christine Lavant, Josef Leitgeb, Lilly Sauter, Paula Schlier und Ignaz Zangerle und schärft das Profil des Brenner-Archivs als Forschungsstätte für österreichische Literatur- und Kulturgeschichte“, freut sich Univ.-Prof. Ulrike Tanzer, Leiterin des Forschungsinstituts Brenner-Archiv, über den Neuzugang. „Ein interessantes Detail am Rande: Als Ende der 1950er Jahre die Vorarbeiten an der historisch-kritischen Trakl-Ausgabe begannen, holte ein Mitherausgeber Trakl-Materialien bei der Witwe von Karl Röck in Innsbruck ab und ließ sie vom Otto Müller Verlag ankaufen. Dieses Konvolut kehrt nun ins Brenner-Archiv zurück, wo der Nachlass von Röck liegt, dem es einst entnommen wurde“, so Tanzer.

Umfangreiches Archiv

Das vorläufige Bestandsverzeichnis des Verlages liest sich wie das Who’s Who der österreichischen Nachkriegsliteratur. Dem Verlag gelang der Spagat zwischen modern und traditionell, denn auch Autor:innen der älteren Generation – so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Felix Braun, Werner Kraft, Paula von Preradović, Karl Heinrich Waggerl oder Josef Weinheber – publizierten bei Otto Müller. Hervorzuheben ist die renommierte Zeitschrift Literatur und Kritik, die 1966 federführend von Gerhard Fritsch begründet wurde und die bis heute erscheint. Arno Kleibel, ein Enkel von Otto Müller, der die Leitung des Verlags von 1986 bis 2023 innehatte, war und ist dem Brenner-Archiv freundschaftlich verbunden und hat sich nun entschlossen, das Verlagsarchiv in öffentliche Hände zu geben, damit es der Forschung zugänglich gemacht wird.

Das umfangreiche Verlagsarchiv umfasst 235 Kanzleiordner, mehrere Konvolute mit Manuskripten und 16 Kartons mit Rezensionen zu Verlagswerken aus dem Zeitraum von 1937 bis 1990.

Das Otto-Müller-Verlagsarchiv wurde aus Mitteln der Universität Innsbruck, der Landesgedächtnisstiftung Tirol, dem Land Tirol, Kulturabteilung, und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, Öffentlicher Dienst und Sport erworben.

Geschichte des Verlages

In der NS-Zeit verboten, von einem redlichen Zwischenkäufer zurückgegeben, begann der Otto-Müller-Verlag sich nach dem Krieg einen Namen mit seinen Lyrik-Bänden zu machen. Die Lyrik finanzierte Otto Müller mit den Gewinnen der Übersetzung von Giovanni Guareschis Don Camillo und Peppone. In der Lyrikreihe traten u.a. H. C. Artmann, Thomas Bernhard, Christine Busta, Gerhard Fritsch, Michael Guttenbrunner oder Christine Lavant erstmals mit Buchpublikationen des Verlags an die Öffentlichkeit – viele von ihnen in den damals modernen „Plastoflex“-Einbänden. Lavant verabscheute sie und wünschte Leinen. Theodor Kramer fand – herausgegeben von Michael Guttenbrunner – über den Verlag wieder nach Österreich zurück. Bei der fremdsprachigen Literatur setzte man in der Nachkriegszeit u.a. auf Übersetzungen des angesagten Renouveau catholique, Literatur von W. H. Auden, Paul Claudel, C. S. Lewis und anderen.

 

Schwarz-weiß-Foto mit mehreren Personen, die auf Stühlen sitzen und diskutieren

Aufnahme von einem Stand des Otto Müller Verlages bei der Frankfurter Buchmesse 1956, links im Bild Erentraud Müller.

Die Betreuung der literarischen Avantgarde in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte zu einem wichtigen Teil in diesem Verlag, nicht zuletzt mit Hilfe von Ludwig Ficker (von 1910 bis 1954 Herausgeber der Zeitschrift Der Brenner), der dem Verlag als Gutachter, Ratgeber und Mentor eng verbunden war. Der Brenner-Mitarbeiter Ignaz Zangerle setzte diese Beratertätigkeit bis in die 1980er Jahre fort.

Der Kontakt zu Ludwig Ficker stellte sich schon gleich zu Beginn über Georg Trakl her, als Otto Müller 1938 die Rechte an Trakl erwarb und die von Karl Röck herausgegebene und von Ficker geschätzte Gesamtausgabe der Dichtungen in dritter Auflage herausbrachte. Sie wurde zu einem Longseller und brachte es auf eine Auflage von über 43.000 Exemplaren. Auch die erste historisch-kritische Trakl-Ausgabe erschien, von Ficker mit Rat und Tat und seinen Trakl-Materialien mitgefördert, 1969 im Otto Müller Verlag. Von 1969 bis 1986 wurde die Reihe „Brenner-Studien“, zu Anfang herausgegeben von Ignaz Zangerle und Eugen Thurnher, publiziert. Seit 1954 und bis heute erscheinen die von Ignaz Zangerle initiierten „Trakl-Studien“.

Als der Verlagsinhaber Otto Müller 1956 an den Folgen einer Operation starb, übernahm die 23-jährige Tochter Erentraud Müller die Verlagsleitung bis 1963. Sie stand mit Ficker in einem intensiven brieflichen und persönlichen Austausch. Neben das Bild ihres Vaters stellte sie auch eine Fotografie Fickers und schrieb ihm: „Ich brauche wohl diesen Schutz, um nicht ganz allein zu stehen. Die Frage taucht ja immer wieder auf, ob ich wirklich hier an diesem Platz gebraucht werde, ob ich ihn je erfüllen können werde, ob ich mich nicht Jemandem in den Weg stelle, der wirklich berufen ist, an diesem schönen Werk weiter zu bauen.“ (Erentraud Müller an Ficker, 15. August 1956).

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