Die kosmische Teilchenstrahlung, hauptsächlich bestehend aus hochenergetischen Protonen und Atomkernen, trifft permanent auf unsere Erdatmosphäre. Da es geladene Teilchen und Kerne sind, werden sie auf ihrem Weg in der Milchstraße zu uns von magnetischen Feldern abgelenkt. Wir können deshalb ihre Ankunftsrichtung nicht zu ihrem astronomischen Ursprung zurückverfolgen. Falls diese Teilchen und Kerne jedoch mit interstellarer Materie am Ursprungsort wechselwirken, erwartet man von dort die Aussendung höchstenergetischer Photonen, d.h. Licht im Bereich der Gammastrahlung, die auf den möglichen Ursprungsort zurückweist.
Seit Jahrzehnten vermutet man, dass Supernovae, also Explosionen am Ende des Lebenszyklus massereicher Sterne, die verborgenen Ursprungsorte kosmischer Teilchenstrahlung sind. Und tatsächlich, Beobachtungen mit dem Fermi-Weltraumteleskop bestätigten, dass einige Supernova-Überreste extreme Teilchenbeschleuniger sind. Aber dieses Szenario ist so nicht komplett: Es werden nur wenige Supernova-Überreste bei den höchsten Energien beobachtet – und diese können kaum die Gesamtheit aller kosmischen Teilchen und Kerne beschleunigt haben, welche auf der Erde gemessen werden. Insofern ist dies Gegenstand aktueller Forschung an einem mehr als hundert Jahre alten Problem. Eine mögliche Erklärung deutet sich darin an, dass die besten Bedingungen für Teilchenbeschleunigung lediglich in einem kurzen Zeitraum nach der Explosion einer Supernova herrschen. „Leider erwarten wir lediglich zwei bis drei solche Explosionen pro Jahrhundert in unserer Milchstraße“, sagt Olaf Reimer vom Institut für Astro- und Teilchenphysik. „Wenn wir dies in Galaxien unserer kosmischen Nachbarschaft untersuchen, schaffen es vermutlich nur die leistungsfähigsten Instrumente, entsprechende Gammastrahlung noch nachzuweisen.“
Der 18. Mai 2023 war allerdings ein Glückstag. Eine Supernova (SN 2023ixf) explodierte in unserer Nähe, der Feuerradgalaxie (bzw. Messier 101), die „nur“ 22 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Dies ist die nächstliegende Supernova aus dem Kollaps eines massereichen Sterns seit dem Start von NASA’s Fermi-Weltraumteleskop vor 15 Jahren. Daher bot sich der Wissenschaft erstmals die Chance, kosmische Teilchenbeschleunigung nur Tage nach der Explosion einer Supernova zu untersuchen. Die Forscher:innen erwarteten eine helle Quelle im Lichte der Gammastrahlung, in den Daten des Fermi Teleskops fand sich allerdings keine.
Wie erklärt sich eine solche Diskrepanz? Supernova-Überreste sollten in der Lage sein, bis zu 10% ihrer Energie in die Beschleunigung kosmischer Teilchen umzuwandeln. Die Gammadaten, kombiniert mit optischen Beobachtungen des Hubble-Weltraumteleskops, suggerieren allerdings, dass es im Falle von SN 2023ixf nicht mehr als 1% gewesen sein können. Aber vielleicht sind unsere Modelle dafür noch unrealistisch? So ändern sich die Vorhersagen, falls diese Explosion nicht ideal sphärisch, sondern sehr asymmetrisch verlaufen ist. Oder aber wir verstehen die Bedingungen für Schockbeschleunigung in der frühen Phase einer Supernova noch nicht gut. „Mit den neuen Daten von Fermi sind wir nun gefordert, noch stärker darüber nachzudenken, ob Supernova Explosionen noch immer oder aber nicht mehr die zentrale Rolle in der Suche nach dem Ursprung der galaktischen kosmischen Teilchenstrahlung einnehmen können“, sagt Reimer. Geleitet wurde die Untersuchung von Guillem Martí-Devesa am Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck, der inzwischen an der Universität in Trient forscht.
Publikation: Early-time gamma-ray constraints on cosmic-ray acceleration in the core-collapse SN 2023ixf with the Fermi Large Area Telescope. G. Martí-Devesa, C. Cheung, N. Di Lalla, M. Renaud, G. Principe, N. Omodei, F. Acero. A&A, DOI: 10.1051/0004-6361/202349061