Die Bewohner der Innenstädte von Manhattan oder Miami haben es schon immer gewusst: Auf kurzen Entfernungen, bis hin zur Länge eines Häuserblocks, erscheint die Welt der Stadtschluchten eindimensional. Es geht nur in eine Richtung. Mit den Querstraßen, die auf längeren Strecken auftauchen, wird die Welt plötzlich zweidimensional: wenn man weit genug geht, wird es möglich, die Querrichtung zu erkunden. Quantenteilchen, die bei ultratiefen Temperaturen in „optischen Schluchten“ eingeschlossen sind und die Möglichkeit haben, in benachbarte Schluchten zu tunneln, „wissen“ ebenfalls, welche Dimension sie haben: Auf kurze Distanzen sind sie eindimensional, auf große Entfernungen jedoch zweidimensional. Dieses Verhalten wurde nun in einer gemeinsamen theoretisch-experimentellen Arbeit von Forschern des Instituts für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und des Instituts für Physik der Quantenmaterie der Universität Genf aufgedeckt.
Quantensysteme in reduzierter Dimensionalität und bei ultratiefen Temperaturen im Bereich von Suprafluidität und Quantenentartung sind zu einem spannenden Forschungsgebiet geworden. Zweidimensionale Supraflüssigkeiten können topologische Anregungen enthalten, und wechselwirkende eindimensionale Systeme weisen eine Vielzahl von ungewöhnlichen Eigenschaften auf, von denen die Fermionisierung von Bosonen eine der auffälligsten ist. Über den Übergang zwischen den räumlichen Dimensionen ist bisher wenig bekannt: Wie verbinden sich stark wechselwirkende bosonische Supraflüssigkeiten in 2D mit fermionisierten Bosonen in 1D? Mit kalten Atomen als Forschungsplattform kann der Dimensionsübergang nun direkt im Experiment untersucht werden. In einem ersten Test untersuchten die Physiker die Korrelationseigenschaften von wechselwirkenden Bosonen, die in verstellbaren Lichtkristallen eingezwängt waren. In gemischter Dimensionalität fanden sie einen charakteristischen zweistufigen Abfall der Ein-Körper-Korrelationsfunktion. Dies zeigt, dass die Teilchen gleichzeitig ein- und zweidimensional sind. „Unser System ist gleichzeitig 1D und 2D“, freut sich einer der Erstautoren dieser Arbeit, Yanliang Guo, der als Postdoc in Innsbruck forscht. „Es hängt davon ab, wie wir das System abfragen.“ Hepeng Yao, Postdoc in Genf, der die numerische Simulation und Analyse mit modernsten Quanten-Monte-Carlo-Methoden durchgeführt hat, stimmt dem zu: „Wir können jetzt direkt verfolgen, wie sich die kontinuierliche Änderung der Dimensionalität eines Systems auf die kollektiven Eigenschaften eines Supraflüssigkeit auswirkt.“
„Unsere Experimente hielten eine Überraschung für uns bereit“, sagt Yanliang Guo. „Angesichts unserer hochwertigen, numerischen Modellierung können wir nun die Korrelationsmessungen nutzen, um die Temperatur unserer Quantenflüssigkeiten in 1D, 2D und dazwischen mit sehr hoher Präzision zu bestimmen. Dies könnte den Weg für neue Entdeckungen öffnen, zum Beispiel für die Erforschung der schwer fassbaren Bose-Glas-Phase.“ Hepeng Yao stimmt dem zu: „Die Korrelationsmessungen sollten, wenn sie für Bosonen bei sehr niedrigen Temperaturen in Gegenwart eines zufälligen Potentials durchgeführt werden, Hinweise auf ein Bose-Glas zeigen.“
Die Ergebnisse, die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht wurden, dienen als Ausgangspunkt für weitere Forschungen über niedrigdimensionale Quantenmaterie und deren Dimensionsübergänge. Die Forschung wurde vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen eines Wittgenstein-Preises, von der Europäischen Union mit einem ERC-Grant und vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Milena Horvath ist Mitglied des FWF-Doktoratskollegs Atome, Licht und Moleküle (DK-ALM).
Publikation: Observation of the 2D–1D crossover in strongly interacting ultracold bosons. Yanliang Guo, Hepeng Yao, Satwik Ramanjanappa, Sudipta Dhar, Milena Horvath, Lorenzo Pizzino, Thierry Giamarchi, Manuele Landini, Hanns-Christoph Nägerl. Nature Physics (2024) DOI: 10.1038/s41567-024-02459-3