Landpflanzen bedecken die Oberfläche unseres Planeten, sie sind unter, um und über uns. Sie bilden komplexe Körper mit einer Vielzahl von Organen, die sich wiederum aus einer Vielzahl von Zelltypen zusammensetzen. Die Grundlage dieser morphologischen Komplexität sind unter anderem komplizierte Netzwerke von Genen, deren koordinierte Wirkung die Pflanzenkörper durch verschiedene molekulare Mechanismen formt – seien es winzige Moosblättchen, emporragende Baumstämme, verborgene Wurzeln oder beindruckende Seerosenblüten. All diese prächtigen Formen sind aus einem einmaligen evolutionären Ereignis hervorgegangen: der Eroberung der Erdoberfläche durch die Pflanzen, der sogenannten Terrestrialisierung der Pflanzen. Unter den Algen, die am engsten mit den Landpflanzen verwandt sind, finden sich verschiedene Körperformen, von einzelligen Algen bis hin zu komplexeren Zellfäden. Aus dieser Gruppe von Verwandten hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universitäten Göttingen und Nebraska-Lincoln nun die ersten Genomdaten solcher komplexen Exemplare gewonnen, und zwar von vier fadenförmigen Sternalgen der Gattung Zygnema.
Vier Algenstämme sequenziert
Die Wissenschaftler:innen arbeiteten mit insgesamt vier Algenstämmen, zwei aus einer Kultursammlung in den USA und zwei, die in der Sammlung von Algenkulturen der Universität Göttingen aufbewahrt werden. An der Forschung waren mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus neun Ländern beteiligt, die eine Reihe modernster Sequenzierungstechniken kombinierten, um die gesamte DNA-Sequenz der Algen zu entschlüsseln. Die Methoden ermöglichten es ihnen, erstmals vollständige Genome dieser Organismen auf der Ebene ganzer Chromosomen zu erstellen. Der Vergleich der Gene in den Genomen mit denen anderer Pflanzen und Algen führte zur Entdeckung wichtiger Signalgene für die Antwort auf Umweltreaktionsfaktoren. „Viele dieser Gene sind die Grundlage für molekulare Funktionen, die für die Entstehung der ersten mehrzelligen Landpflanzen wichtig waren“, erklärt Iker Irisarri vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels. „Es ist faszinierend, dass die genetischen Bausteine, deren Ursprünge Millionen von Jahren vor den Landpflanzen liegen, sich in den Vorfahren der Pflanzen und Algen dupliziert und diversifiziert haben und so die Evolution einer spezialisierten molekularen Maschinerie ermöglichten.“
Innsbrucker Beitrag
Andreas Holzinger vom Institut für Botanik der Universität Innsbruck arbeitet seit vielen Jahren an dieser Grünalgengruppe, deren Genom nun entschlüsselt werden konnte. Deshalb war er von Anfang an in die internationale Forschungskooperation eingebunden und hat gemeinsam mit seinem Team wichtige Beiträge zur Ultrastruktur und der aufgrund ihrer sehr geringen Größe schwierigen Zählung der Chromosomen geliefert. „Es war faszinierend zu sehen, dass wir mit adaptierten Färbemethoden die gleiche Anzahl von 20 Chromosomen identifizieren konnten, die auch mit Hilfe der molekularen Daten errechnet wurde“, erklärt Andreas Holzinger.
Die Ergebnisse der internationalen Forschungskooperation stellen nicht nur eine wertvolle, qualitativ hochwertige Ressource für die gesamte Pflanzenwissenschaft bereit, die Analysen haben auch komplizierte Verbindungen zwischen Umweltreaktionen und genetischen Programmen aufgedeckt. Dies wirft ein Licht auf eine der wichtigsten Eigenschaften von Landpflanzen: ihre Fähigkeit, ihr Wachstum und ihre Entwicklung so anzupassen, dass sie mit der Umgebung, in der sie leben, übereinstimmen – ein Prozess, der als Entwicklungsplastizität bekannt ist.
Publikation:
Feng et al. Genomes of multicellular algal sisters to land plants illuminate signaling network evolution. Nature Genetics 2024. DOI: 10.1038/s41588-024-01737-3.