„Die "Neolithisierung", also der historische Prozess der Umstellung von einer Wirtschaftsweise des Jagens und Sammelns hin zu landwirtschaftlicher Produktion ist der bisher wohl tiefgreifendste Wandel der Menschheitsgeschichte“, sagt Joachim Pechtl vom Institut für Archäologien der Universität Innsbruck. Ab der Mitte des sechsten Jahrtausend v. Chr. begannen die ersten Bäuer:innen Mitteleuropas in dicht bewaldeten Landschaften sesshaft zu werden. Im Gegensatz zum bereits deutlich früher aufgesiedelten südosteuropäischen Raum mit seiner meist lichteren Vegetation, erschwerte aber das mitteleuropäische Waldland traditionelle Formen von Ackerbau und Viehwirtschaft. Es stellt sich somit die Frage, welche Anpassungen notwendig waren, um in der neu erschlossenen Umgebung erfolgreich wirtschaften zu können.
Eine neue Studie unter der Leitung von Rosalind Gillis vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Berlin beleuchtet Methoden der frühen Käseherstellung in Mitteleuropa. Beteiligt war neben Forscher:innen der University of Bristol, des Muséum National d’Histoire Naturelle und der Universität Kiel auch Joachim Pechtl. Als Experte für frühe landwirtschaftliche Kulturen im südbayerisch-westösterreichischen Raum bestand sein Part insbesondere in der Auswahl geeigneter Fundorte, der Selektion des richtigen Probenmaterials und der Einordnung der Ergebnisse vor dem Hintergrund der regionalen Kulturentwicklung.
Kombination aus Isotopen- und Lipidanalysen
„Unter den domestizierten Tieren dominierte das Rind, sodass immer auch die Frage nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Milchnutzung zu stellen ist. Hier bieten nun Isotopenanalysen an Rinderknochen in Kombination mit Lipidanalysen von Nahrungsresten in Keramikgefäßen einen fantastischen Ansatzpunkt zur Erforschung des Systems: Über die Isotopenanalysen lassen sich Rückschlüsse auf die Ernährung der Rinder selbst ziehen und die Lipidanalysen geben Aufschluss über die von Menschen konsumierten Produkte wie beispielsweise Käse“, erklärt Pechtl das methodische Vorgehen.
Die Untersuchung legt eine bemerkenswerte Praxis der frühen Bäuer:innen offen: Um Rinder gut durch den Winter zu bringen, wurden sie mit mineralstoffreichen, im Sommer von Bäumen gesammelten Blättern gefüttert. Diese Methode verbesserte nicht nur die Gesundheit der Tiere, sondern steigerte auch die Milchproduktion und die Zahl der Geburten außerhalb der Hauptkalbezeit im späten Frühling. So konnten die frühen Gemeinschaften die verlässliche Milchversorgung auch in kalten Wintermonaten sicherstellen.
Die Forschung wurde vom Advanced ERC-Forschungsprojekt NeoMilk unter der Leitung von Professor Richard Evershed an der Universität Bristol sowie von weiteren europäischen Förderorganisationen finanziert.
Publikation: Gillis, R.E., Kendall, I.P., Roffet-Salque, M. et al. Diverse prehistoric cattle husbandry strategies in the forests of Central Europe. Nat Ecol Evol (2024). DOI: 10.1038/s41559-024-02553-y
(DAI/red)