Eine neue Studie, die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wurde, stellt lang gehegte Annahmen über menschliche Kooperation in Frage. Traditionell haben Verhaltenswissenschaftler:innen und Ökonom:innen Kooperationsbereitschaft im Zusammenhang mit öffentlichen Gütern in erster Linie durch wiederholte Interaktionen untersucht, bei denen Menschen Vertrauen und wechselseitige Beziehungen aufbauen und ihr Verhalten auf der Grundlage der Handlungen anderer anpassen können. Viele reale, natürlich vorkommende Situationen, wie z. B. Freiwilligenarbeit oder Spenden für die Krisenhilfe, sind jedoch einmalige Entscheidungen, bei denen keine offensichtlichen zukünftigen Interaktionen oder Beziehungen zu berücksichtigen sind. Die aktuelle Studie untersuchte, wie Individuen kooperieren, wenn sie nur eine einzige Gelegenheit haben, in einer sozialen Gruppe zu zusammenzuarbeiten, ohne die Identität der anderen Gruppenmitglieder zu kennen. Diese Studie wurde von Dr. Natalie Struwe und Prof. Esther Blanco von der Universität Innsbruck gemeinsam mit Prof. James Walker von der Indiana University verfasst.
Zwei groß angelegte Experimente
In zwei Experimenten mit über 2.000 Teilnehmer:innen variierten die Forscher:innen den potenziellen Nutzen von Kooperation bei der Bereitstellung öffentlicher Güter. Trotz des erhöhten Nutzens von Kooperation stellte die Studie keine signifikante Veränderung in der Kooperationsbereitschaft der Teilnehmer:innen fest. Der Mechanismus, der hinter diesem Verhalten steht, scheint in den Erwartungen der Teilnehmer:innen an die Kooperationsbereitschaft anderer zu liegen, die ebenfalls nicht mit dem Nutzen von Kooperation variierten. Da die Teilnehmer:innen nicht erwarteten, dass andere mehr kooperieren, wenn der Nutzen steigt, war es unwahrscheinlich, dass sie ihre eigenen Kooperationsbemühungen verstärkten – selbst wenn sich der Nutzen aus Kooperation verdoppelte.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen eine kritische Lücke in unserem Verständnis von Kooperationsverhalten bei einmaligen Begegnungen“, sagt Dr. Natalie Struwe vom Institut für Finanzwissenschaft an der Universität Innsbruck, Ko-Autorin des Papers. „Die Entscheidung, zu kooperieren, ist durch ein so genanntes soziales Dilemma gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um Situationen, in denen das Eigeninteresse mit dem gesellschaftlichen Interesse in Konflikt steht. Bei höherem Nutzen aus der Kooperation ist dieser Konflikt jedoch viel geringer und wir würden erwarten, dass die Kooperationsraten viel höher sind. Wir waren jedoch überrascht, dass die Kooperationsbemühungen der Menschen selbst dann nicht entsprechend zunahmen, wenn wir den Nutzen aus Zusammenarbeit drastisch erhöhten. Dies deutet darauf hin, dass Kooperation in der realen Welt – wie etwa Spenden für die unmittelbare Katastrophenhilfe - nicht immer durch die Einschätzung eines erhöhten Nutzens bestimmt wird.“
Konsistente Ergebnisse über Datensammlungen hinweg
„Wir konnten die Ergebnisse zunächst selbst nicht glauben, überprüften die Daten mehrmals und wiederholten die Studie mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen“, sagt Professor Esther Blanco vom Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck. „Schließlich sammelten wir fast 2.000 Datenpunkte und führten Online-Experimente mit der allgemeinen Bevölkerung in Großbritannien sowie mit unseren Studierenden durch – sowohl online als auch in unserem Labor. Egal, was wir taten, die Ergebnisse blieben konstant: Das Kooperationsniveau war bemerkenswert stabil. Die Allgemeinbevölkerung war nicht mehr oder weniger kooperativ als unsere Studierenden. Im Durchschnitt waren die Teilnehmer:innen bereit, etwa 40 % des ihnen zur Verfügung stehenden Geldes zu investieren, um dem Gemeinschaftsverdienst ihrer Gruppe zu steigern, unabhängig von der jeweiligen Situation.“
„Spontane Kooperation in einmaligen Begegnungen ist häufiger, als wir denken“, erklärt Professor James Walker, ein weiterer Mitautor der Studie, vom Economics Department der Indiana University in den USA. „Wenn sich beispielsweise Menschen zusammentun, um sofortige Katastrophenhilfe zu leisten, ist das ein Fall von einmaliger Zusammenarbeit, bei der sich Einzelpersonen dazu entschließen, zu handeln und zu helfen, ohne zu wissen, ob sie noch einmal mit denselben Personen zusammenarbeiten werden.“
Die Ergebnisse der Studie haben wichtige Auswirkungen darauf, wie wir über die Förderung von Kooperation bei der Bereitstellung öffentlicher Güter nachdenken, insbesondere in dringenden, einmaligen Szenarien wie der Katastrophenhilfe oder Freiwilligenarbeit in Notfällen. Sie verdeutlicht auch die Notwendigkeit, die Grundlagen kooperativen Verhaltens, eines der wichtigsten Merkmale der Menschheit, besser zu verstehen.
Wichtigste Ergebnisse
Im Gegensatz zu früherer Forschung über wiederholte Interaktionen ändern Individuen ihre Beiträge zu einmaligen öffentlichen Gütern nicht signifikant, wenn der Nutzen der Zusammenarbeit steigt.
Die Erwartungen bezüglich der Beiträge anderer beeinflussen das individuelle Verhalten in einmaligen Situationen stark und variieren nicht signifikant mit den Veränderungen des Nutzens aus der Kooperation.
Das durchschnittliche Kooperationsniveau blieb über verschiedene Teilnehmergruppen und Versuchsumgebungen hinweg konstant bei etwa 40 %, wobei sowohl die Allgemeinbevölkerung als auch Universitätsstudierende einbezogen wurden.
Die Studie unterstreicht den Bedarf an weiterer Forschung zur Kooperation in einmaligen Entscheidungssituationen, insbesondere dazu, wie Individuen den Nutzen aus Kooperation interpretieren und in solchen Situationen reagieren, und welche Reaktion sie von anderen erwarten.
Diese Untersuchung eröffnet neue Wege, um zu erforschen, wie man Kooperation in kritischen einmaligen Entscheidungssituationen wirksam fördern kann, und erfordert ein tieferes Verständnis der psychologischen und sozialen Faktoren, die dabei eine Rolle spielen.
Paper:
Natalie Struwe, Esther Blanco, James M. Walker: Increasing benefits in one-time public goods does not promote cooperation, Proceedings of the National Academy of Sciences 2024, Vol. 121, No 41, DOI: 10.1073/pnas.2410326121, https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.2410326121