Es beginnt mit dem Kopfsteinpflaster zum Hauptgebäude der Universität Innsbruck und findet sich auch in den Köpfen vieler Menschen: Während des Studiums hat Alina Kühnel bauliche und andere Barrieren überwunden. Gerade hat sie ihr Studium des Wirtschaftsrechts feierlich abgeschlossen.
Trotz aller – vom Sozialministerium ausgezeichneter – Bemühungen gibt es an der Universität Innsbruck nach wie vor Herausforderungen. Das Studieren sei angenehm, sagt Kühnel, für Menschen mit Behinderungen jedoch nicht immer barrierefrei. Bauliche Hürden seien das eine, Hürden im Kopf der Menschen das andere. „Es gab Situationen, da wurde mir der positive Abschluss eines Faches oder Ähnliches nicht zugetraut. Es ist auch schade, wenn man sich immer beweisen muss, weil der Leistungsdruck unweigerlich steigt.“ Sie ließ sich davon nicht beirren. In den Fächern erzielte sie gute Noten und fühlte sich dadurch bestätigt.
Stolz auf ihren Studienabschluss
Der jetzt erfolgte Studienabschluss an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät erfüllt sie mit Genugtuung. „Es ist ein Lebensabschnitt, der beendet ist. Auch persönlich hat das viel Bedeutung, weil man mir nicht zugetraut hat, dass ich das Gymnasium schaffen kann, das Abi und ein Studium noch viel weniger. Jetzt habe ich Wirtschaftsrecht abgeschlossen und studiere weiter Erziehungswissenschaften.“
Für Alina Kühnel fand die Verleihungszeremonie zur Magistra in kleinem, feierlichem Rahmen statt. In voller Amtstracht waren Vizerektor für Forschung Gregor Weihs und Studiendekan Bernhard A. Koch sowie die Behindertenbeauftragte der Universität Innsbruck Bettina Jeschke im Vizerektorat für Forschung anwesend. „Wieder einmal zeigt sich, dass Inklusion möglich ist, wenn alle Beteiligten daran glauben und sich von inneren Barrieren nicht blockieren lassen. Wir gratulieren herzlich!“, teilt Bettina Jeschke mit.
„Unter den üblichen Bedingungen wäre die Teilnahme kaum möglich gewesen, daher war ich froh, dass man seitens der Uni bereit war, eine Lösung zu finden. Es war eine tolle Erfahrung, den Studienabschluss würdevoll feiern zu können und ich bin dankbar für die bewiesene Flexibilität“, erzählt Alina Kühnel. Sie lebt im autistischem Spektrum und mit Tetraplegie, bei der alle Gliedmaßen betroffen sind. Die junge Frau geht offen damit um. Sie will mehr Sichtbarkeit für Menschen mit Behinderungen erreichen.
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Den großen Erfolg gebührend gefeiert, denkt Alina Kühnel schon an die Zukunft: Mit dem Abschluss des Wirtschaftsrechts in der Tasche begibt sich die junge Frau gerade auf Jobsuche. Eine Arbeit in der Verwaltung könne sie sich gut vorstellen. Neben dem Beruf möchte sie ihr Bachelorstudium der Erziehungswissenschaften abschließen und das Thema „Disability Studies“ weiterverfolgen. Engagiert und ehrgeizig, so würde sich Kühnel auch selbst beschreiben.
Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Themen wie Selbstbestimmung und Erwachsenenschutzrecht hat sie einen Beitrag geleistet. In ihrer Abschlussarbeit analysierte Kühnel, in wie weit das österreichische Erwachsenenschutzrecht und das deutsche Betreuungsrecht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechen. „Es gibt in beiden Rechtssystemen Aufholbedarf, teilweise dringenden Handlungsbedarf meines Erachtens nach, zum Beispiel in Hinblick auf die wirksame Stärkung der Selbstbestimmung der betroffenen Menschen oder das Vermögensverzeichnis, das im Zuge der Bestellung einer Vertretung oder Betreuung weder in Österreich noch in Deutschland nach dem Vier-Augen-Prinzip erstellt werden muss.“
Mehr Bewusstsein schaffen
Mit ihrer Geschichte und ihrem Tun möchte sie mehr Bewusstsein schaffen. „Ich würde mir wünschen, dass man als Mensch und Studierende gesehen wird, dass die Beeinträchtigung gar keine Rolle spielt“, sagt die junge Frau. Während des Studiums und darüber hinaus setzt sich Kühnel für mehr Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen ein.
Die Stille Stunde: Ein Projekt für mehr Barrierefreiheit im Handel
Zusammen mit Studierenden hat sie im Rahmen des Projekts INNKLUSION der Professur für Fertigungstechnik am Institut für Mechatronik die Idee zur Stillen Stunde entwickelt. Im Handel soll es während der Öffnungszeiten bestimmte Zeiträume mit gedimmtem Licht und reduzierten Geräuschen geben. Das ermöglicht Menschen mit Beeinträchtigungen und sensorisch sensiblen Menschen ein entspannteres Einkaufen. „Es wird niemand ausgeschlossen, alle Menschen sollen davon profitieren können“, betont Kühnel. Sie hofft, dass in Tirol bald ein Pilotprojekt starten kann und setzt auf Öffentlichkeitsarbeit, um die Umsetzung voranzutreiben. Noch gibt es Hürden zu mehr Barrierefreiheit, doch Kühnel ist optimistisch auch diese zu bewältigen.