Gabriele Schauer sitzt in einem Hörsaal und schaut in die Kamera

Gabriele Schauer untersucht, ob und wie sich pädagogisches Ethos lehren und lernen lässt.

Klasse han­deln ler­nen

Gabriele Schauer zeigt angehenden Lehrer:innen Möglichkeiten, wie man mit vieldeutigen Situationen im Schulalltag kompetent umgehen kann. Begleitend erforscht sie, inwieweit sich pädagogisches Ethos als Teil von Professionalität an der Uni vermitteln lässt.

Nach einem Lehramtsstudium sollte man im Unterrichtsfach versiert sein, über didaktische Kompetenzen verfügen, mit den formalen Aspekten der Leistungsbeurteilung vertraut sein und viele weitere Fähigkeiten erworben haben. Zum Handwerkszeug von Lehrer:innen gehört auch – zumindest finden sich im allgemeinen Teil des Curriculums Beschreibungen dazu – eine Haltung, die das Handeln im Schulalltag durchdringt und unter dem Begriff „pädagogisches Ethos“ zusammengefasst werden kann. „In Schule und Unterricht begegnen wir ständig Situationen, für die es keine vorgefertigten Rezepte gibt. Vielmehr erfordern diese Reflexion vor, während und nach dem Handeln“, erklärt Gabriele Schauer vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung. – Ein reales Beispiel dazu: Eine Englisch-Lehrperson wurde von der Unruhe in einer Klasse überrascht und darüber informiert, dass gerade eine Mathematikschularbeit stattgefunden hat. Auf Nachfrage der Schüler:innen entschied sie, das Grammatikthema zu verschieben und stattdessen ein englisches Spiel durchzuführen. Was bedeutet es für ihre Rolle als Lehrperson, wenn sie von ihrem Plan abweicht? Welche verschiedenen Perspektiven, Regeln und Werte, auch die eigenen, treffen im Konfliktgeschehen aufeinander? Was ist legal, was ist legitim? Was ist hier pädagogisch gutes Handeln? Auf Fragen wie diese kann es nicht die eine richtige Antwort, jedoch eine reflektierende Auseinandersetzung mit dem Geschehenen geben. „Als urteilsfähiges Können schlägt pädagogisches Ethos eine Brücke zwischen Regeln, Werten, den daraus resultierenden Handlungen sowie der Reflexion darüber“, erläutert Gabriele Schauer den komplexen Begriff. Weil die Entwicklung von pädagogischem Ethos als bedeutender Teil von Professionalität betrachtet wird, haben Bildungswissenschaftler:innen verschiedener Universitäten ein Handbuch mit dem Titel „ELBE – Ethos im Lehrberuf“ erarbeitet. Finanziert durch die Robert-Bosch-Stiftung wurde es für den Einsatz in der Lehrer:innenbildung an Hochschulen konzipiert. Es kombiniert theoretische wissenschaftliche Konzepte mit Praxisbeispielen und Reflexionen dazu.

Ethos lehren

„Mit dem Handbuch wollten wir eine Grundlage schaffen, die es Dozierenden erleichtern sollte, das Thema pädagogisches Ethos in ihre Lehre einzubauen“, sagt Gabriele Schauer, die an der Erstellung des ELBE-Manuals mitgewirkt hat und es in ihren Seminaren im Lehramtstudium auch selbst einsetzt. Begleitend erforscht sie in ihrem neuen Projekt Pädagogisches Ethos angehender Lehrpersonen, was der Einsatz des Handbuchs in der Lehre und die Auseinandersetzung mit dem Thema denn tatsächlich bringt. Die Fragen, die in diesem vom Land Tirol geförderten Forschungsvorhaben im Mittelpunkt stehen, boten im Übrigen bereits dem antiken Philosophen Sokrates Gesprächsstoff. In seinem berühmten fiktiven Dialog mit Menon diskutiert er, inwieweit Tugend denn überhaupt gelehrt oder geübt werden kann. Ob man pädagogisches Ethos lehren kann, gilt es noch heute zu erforschen. „Im neuen Projekt ging es im ersten Schritt darum, einen geeigneten methodischen Ansatz zu finden, um pädagogisches Ethos zu analysieren“, berichtet Gabriele Schauer. Ihr hauptsächlicher Untersuchungsgegenstand sind Texte, in denen Master-Studierende ihr Verständnis von pädagogischem Ethos reflektieren. Diese entstehen im Zuge eines Pflichtseminars, das in diesem Sommersemester von 30 Teilnehmer:innen belegt und auch im Wintersemester wieder angeboten wird. Überprüfen will die Wissenschaftlerin, wie die intensive Auseinandersetzung mit pädagogischem Ethos über das Semester hinweg die Reflexionen der Studierenden verändert. „Ob die Studierenden etwas mitgenommen haben, kann ich nur teilweise anhand ihrer Entscheidungen oder Lösungsvorschläge erkennen. Aber ich kann mithilfe von qualitativer Textanalyse die Dichte und Vielfalt der Beschreibungen und der Begrifflichkeiten, die sie verwenden, vergleichen“, verdeutlicht Schauer. Methodisch kann sie dabei auf ein Verfahren zurückgreifen, das ebenfalls an der Universität Innsbruck maßgeblich mitentwickelt wurde: Das Verfahren GABEK – die Abkürzung steht für Ganzheitliche Bewältigung von Komplexität – ermöglicht eine computergestützte Auswertung der Texte. Dass diese Vorgehensweise funktioniert, hat Gabriele Schauer bereits in einer Probestudie mit vorhandenen Texten überprüft. Ende Mai sind dann alle Texte für die Analyse bereit, positives Feedback von Studierenden zu den Seminarinhalten bekommt sie laufend. „Für die Studierenden ist pädagogisches Ethos ein wichtiges Thema. Am Anfang ihrer Ausbildung wollen sie meist noch genaue Anleitungen für bestimmte Unterrichtssituationen, im Laufe des Seminars erkennen sie die Bedeutung von (moralischen) Entscheidungen im schulischen Handeln und die Notwendigkeit für Reflexionen hierbei“, freut sich Gabriele Schauer.

Zur Person

Gabriele Schauer studierte während ihrer Tätigkeit als Leiterin eines Schülerhortes Pädagogik an der Uni Innsbruck, wo sie 2017 auch ihr Doktoratsstudium abschloss. Sie war mehrere Jahre in der Aus- und Weiterbildung an verschiedenen Hochschulen tätig. Seit 2016 lehrt und forscht sie als Senior Lecturer am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung und ist u.a. Mitglied der Curriculumskommission Lehramt.

 

Von ELBE zu PEtaL

Ethos im Lehrberuf (ELBE) war ein Kooperationsprojekt der Universität Innsbruck, der Humboldt Universität zu Berlin, der Universität Wien sowie der Universität der darstellenden Künste Wien und wurde von 2020 bis 2022 durch die Robert-Bosch-Stiftung gefördert. Ziel war es, ein Handbuch zur Übung von pädagogischem Ethos zu erstellen. Das Folgeprojekt Pädagogisches Ethos angehender Lehrpersonen (PEtaL) wird aus der Tiroler Nachwuchsförderung des Landes Tirol unterstützt und evaluiert als Aufbauprojekt die praktische Arbeit mit dem Manual.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 01/24 des Forschungsmagazins der Universität Innsbruck erschienen.

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