Nach einer grundrechtlichen Einordnung der Thematik durch Prof.in Khakzadeh wurde die Diskussion von Prof.in Helfer eröffnet und moderiert. Die Diskussionsteilnehmer*innen waren im juristischen Bereich Frau Dr.in Christine Knapp-Brucker, Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Innsbruck, und Dott. Axel Bisignano, Leitender Staatsanwalt am Landesgericht Bozen; im medizinischen Bereich PD Dr. Thomas Beck, Leiter der Opferschutzgruppe der Ärztlichen Direktion am Landeskrankenhaus Innsbruck, und Dr.in Sonia Prader, Primaria der Abteilung Gynäkologie des Krankenhauses Brixen; im Bereich Soziales Mag.a Melanie Mlaker, stellvertretende Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, und Dott.ssa Barbara Wielander, Leiterin des Frauenhausdienstes Brixen.
Im Zuge der Diskussion kristallisierten sich sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten im Gewaltschutz heraus. Als sehr unterschiedlich erwiesen sich die polizeilichen Erstmaßnahmen, die bei häuslicher Gewalt getroffen werden können. Um einen raschen Schutz des Opfers zu gewährleisten, kann in Österreich die Polizei an Ort und Stelle ein Annäherungs- und Betretungsverbot verhängen. Damit ist für den Täter die Verpflichtung verknüpft, an einer Gewaltpräventionsberatung teilzunehmen. In Italien können Annäherungs- und Betretungsverbote hingegen nicht als polizeiliche, sondern als richterliche Maßnahme und erst nach Einleitung eines Strafverfahrens verhängt werden. Obwohl in Italien mit der jüngsten sog. „Codice Rosso“-Reform Eilmaßnahmen sehr viel rascher getroffen werden können, kann es trotzdem bis zu drei Wochen dauern, bis das Verbot über den Täter verhängt wird. Opfer sind daher häufig gezwungen, die Wohnung zu verlassen und in Frauenhäusern Schutz zu suchen.
Als weitaus homogener als die Maßnahmen auf rechtlicher Ebene erweisen sich die Opferschutzmaßnahmen im medizinischen Bereich. In beiden Ländern kann eine Frau, die Opfer von Gewalt geworden ist, bei einer Erstaufnahme durch ein Codewort ("Dr. Viola" in Nordtirol, „Erika“ in Südtirol) auf ihre Situation aufmerksam machen und entsprechende medizinische und psychologische Ersthilfe in Anspruch nehmen. Durch geschultes Personal erfolgt daraufhin vor Ort eine routinemäßige, gerichtlich verwertbare Sicherung etwaiger Gewaltspuren, die auf Antrag des Opfers in einem etwaigen späteren Strafverfahren verwendet werden können.
Näher beleuchtet wurden im Zuge der Diskussion auch die Erfahrungen in Nordtirol mit den sog. sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen. Dabei findet in Hochrisikofällen ein Austausch zwischen Behörden und Institutionen statt. Auf diese Weise lassen sich Opferschutzmaßnahmen auch interdisziplinär aufeinander abstimmen. Ziel ist es, einen möglichst effizienten Schutz vor weiteren und neuen Gewaltsituationen zu gewährleisten.
Eine bedeutende Herausforderung wurde schließlich fachbereichsübergreifend darin gesehen, den Gewaltschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen. So müsse etwa die Autonomie der Frau, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, gestärkt werden. Gerade wirtschaftliche Abhängigkeit ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass Frauen in Gefahrensituationen verharren und Vorfälle aus Angst um ihre Zukunft nicht anzeigen. Außerdem müsse durch entsprechende Debatten und Sensibilisierungen deutlich gemacht werden, dass häusliche Gewalt in unserer Gesellschaft inakzeptabel ist und keinen Platz finden darf: Gewalt in der Privatsphäre ist gerade keine Privatangelegenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Thematik und Problematik, die es mit vereinten Kräften zu bekämpfen gilt.
(Margareth Helfer/Lamiss Khakzadeh)