Eine Schnecke in einer Glasschale.

Die bei uns heimische Gemeine Schließmundschnecke ist im Visier der Wissenschaft. Sie verfügt über ungewöhnlich langkettige Schutzproteine.

Span­nen­dem Schutz­pro­tein auf der Spur

Sie lebt versteckt im Totholz, in Felsen, auch in unseren Gärten. Während die Gemeine Schließmundschnecke (Alinda biplicata) um diese Jahreszeit ihre „Haustüre“ fest verschlossen hat, sorgt ihr Innenleben – genauer ihr spezielles Schutzprotein – fächerübergreifend in den Laboren von Innsbrucker Forscher:innen für Überraschungen.

„Besonders spannend für uns sind die körpereigenen und außerordentlich großen bzw. langkettigen Schutzproteine dieser bei uns heimischen Schneckenart. Von diesen komplexen Eiweißstoffen lernen wir sehr viel. Schließlich ist die genaue Rolle dieser Metallothioneine, die in fast allen Lebewesen auch im Menschen vorkommen, generell noch nicht vollständig verstanden“, betont die Biologin Veronika Pedrini-Martha, PhD vom Institut für Zoologie der Universität Innsbruck. Die Forscherin hat gemeinsam mit Univ.-Prof. i. R. Reinhard Dallinger und internationalen Partnern vor vier Jahren diese besonders langkettigen Metallothioneine bei bestimmten Schneckenarten wie der Alinda biplicata entdeckt und damit erstmals nachgewiesen, dass diese um ein Vielfaches größer sind als bei anderen Tiergruppen, auch beim Menschen. Zuvor waren solche langkettigen Metallothioneine bei dieser Proteinfamilie nicht bekannt.

Funktion und Biologie von Schutzprotein besser verstehen

Das Team rund um den international renommierten Ökotoxikologen Dallinger ist im Zuge eines vom österreichischen Forschungsfonds (FWF) geförderten Projektes der Struktur, Funktion und Biologie dieser Schutzproteine auf der Spur. Die Gemeine Schließmundschnecke reiht zehn sogenannte „Domänen“ – also funktionale Untereinheiten ihres Metallothioneins – einer Perlenkette ähnlich aneinander. Pro Domäne werden dabei drei Cadmium-Ionen gebunden, insgesamt im 10-Domänen-Metallothionein von Alinda biplicata also bis zu 30 Cadmium-Ionen. „Die chemische Fachsprache bezeichnet dies als enorm hohe Bindungsstöchiometrie. Wir sind bisher davon ausgegangen, dass diese enorm hohe Bindungsstöchiometrie vor allem der Entgiftung des Cadmiums dient“, erklärt Dallinger. Doch vor Kurzem entdeckte das Team des Institutes für Zoologie der Innsbrucker Alma Mater gemeinsam mit dem Chemiker Ass.-Prof. Alexander Weiss vom Institut für Biomedizinische Alternsforschung (IBA) der Universität Innsbruck nach eigenen Angaben „unerwartete Zusatz-Effekte“.

Fächerübergreifende Kooperation

Mittels der Genschere (CRISPR/Cas9) haben Weiss und seine Arbeitsgruppe am IBA das körpereigene Metallothionein des Modellorganismus Caenorhabditis elegans gegen jenes Gen für das weitaus bindungsstärkere und damit effektivere Metallothionein der Alinda biplicata ausgetauscht (siehe Grafik). Tatsächlich waren laut den Forscher:innen die nun mit dem Schnecken-Metallothionein genetisch ausgerüsteten Fadenwürmer im Labor widerstandsfähiger gegen Cadmium als ihr unbelassener Wildtyp. Sie waren dank des eingebauten Schutzproteins der Landschnecke unerwarteterweise aber auch insgesamt fitter, und das sogar dann, wenn gar kein Cadmium in ihrem Umfeld vorhanden war. Wie dieser gesteigerte Fitness-Effekt zustande kommt, wird im Zuge dieser fächerübergreifenden Kooperation erst in einer Folgestudie untersucht.

Team arbeitet an neuer Klassifizierung

Infografik mit vier Darstellungen

C. elegans und Alinda biplicata

Ihre Entdeckung vor bald 70 Jahren gilt in der Wissenschaft als „bahnbrechend“. 1957 wurden diese Eiweißstoffe von US-Wissenschaftlern erstmals aus der Niere von Pferden isoliert und als spezielle Proteine, die Metalle binden und entgiften können, beschrieben. Metallothioneine bilden innerhalb der Gruppe der Metalloproteine eine spezielle Familie und sind bisher nach ihrer Struktur und ihrer evolutionären Verwandtschaftsverhältnisse klassifiziert. Als Alternative zu dieser Einteilung arbeitet Dallingers Team auf Basis jahrzehntelanger Expertise und Vernetzung derzeit gemeinsam mit Forschungspartnern in Spanien und der Schweiz an einer chemisch-funktionellen Neu-Klassifizierung der Metallothioneine anhand ihrer Bindungsspezifität für Metallionen und der sich daraus ergebenden physiologischen Funktion. Damit wird für eine ganze Proteingruppe - die im gesamten Tierreich, aber auch bei Bakterien, Pilzen und Pflanzen vorkommt - eine neue, zusätzliche, funktionsorientierte Kategorisierung vorgenommen. Diese metallhaltigen Eiweißkomplexe enthalten besonders viele Aminosäuren mit Schwefelatomen und diese sogenannten „Cysteine“ können Metalle binden. Für zahlreiche Prozesse zur Metallentgiftung und Spurenelement-Regulation sind diese Schutzproteine daher überlebenswichtig. Schnecken können durch Metallothioneine unter anderem das äußerst toxische Schwermetall Cadmium in hohen Konzentrationen binden und entgiften. Der Forschung ermöglicht dies unter anderem ein vertieftes Verständnis des Metallstoffwechsels nicht nur bei Schnecken, sondern im Tierreich insgesamt, da tierische Organismen dank der Funktion der Metallothioneine in der Lage sind, die körpereigenen Konzentrationen und Flüsse lebensnotwendiger Metallionen (wie z. B. Zink und Kupfer) und toxischer Metalle (wie z. B. Cadmium) zu regulieren und auseinanderzuhalten.

Dallingers Gruppe gilt international als eine von wenigen Arbeitsgruppen, die Grundlagenforschung im aktuellen Spannungsfeld zwischen Ökologie, Biochemie und Toxikologie verbinden. Um das Potenzial der Metallothioneine der heimischen Landschnecke sowie weiterer Weichtierarten insgesamt weiter zu entschlüsseln, kooperiert die Gruppe fächerübergreifend mit zahlreichen Instituten und Forschungsgruppen aus Österreich, Spanien, Großbritannien, Deutschland und der Schweiz. „Während die Gemeine Schließmundschnecke daher jetzt im Winter ihre Gehäusemündung mit ihrem Kalkdeckel verschlossen hat, bereiten wir derzeit alleine zur Alinda biplicata bzw. diesen langkettigen Metallothioneinen mehrere Publikationen vor“, betonen Pedrini-Martha und Dallinger unisono. Diese Forschungen wurden vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

Publikation: Andric A., Niederwanger M., Albertini E., Jansen-Dürr P., Stürzenbaum S. R., Dallinger R., Pedrini-Martha V. & Weiss A. K. H. A multi-domain snail metallothionein increases cadmium resistance and fitness in Caenorhabditis elegans. Sci Rep 14 25589 (2024). DOI: 10.1038/s41598-024-76268-2

(Gabriele Rampl)

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