Kleine, unscheinbare Messgeräte, angebracht an verschiedenen mehr oder weniger gut zugänglichen Stellen in vier Höhlen quer über die Alpen haben in den letzten 20 Jahren ganze Arbeit geleistet: Unermüdlich haben sie tagein, tagaus in regelmäßigen Abständen die Temperatur gemessen und gespeichert – ein äußerst wertvoller und in diesem Ausmaß bisher auch einzigartiger Datensatz für die Klimaforschung. Zu den untersuchten Standorten gehören die Spannagelhöhle und die Hundsalm Eis- und Tropfsteinhöhle in Tirol, das Rassl-System in Kärnten sowie die Schrattenhöhle in der Schweiz. „Kleine Messgeräte – sie werden Logger genannt – liefern kontinuierliche Temperaturdaten und ermöglichen es uns, auch minimale Veränderungen in einem ansonsten verhältnismäßig sehr stabilen System zu dokumentieren“, beschreibt Friedrich Obleitner vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften. Diese Daten sind deswegen besonders interessant, da Höhlen die von der Oberfläche eindringenden kurzfristigen Temperaturveränderungen stark dämpfen und somit langfristige Trends deutlicher sichtbar machen. In den letzten 20 Jahren zeigte sich eine Erwärmung von etwa 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt in den Höhlen. „Das ist zwar weniger als an der Oberfläche, wo die Erwärmung bei 0,5 Grad pro Jahrzehnt liegt, aber dennoch eine deutliche Tendenz“, sagt Christoph Spötl, Leiter der Arbeitsgruppe für Quartärforschung am Institut für Geologie. Höhlen reagieren eben langsamer auf äußere Veränderungen: „Gerade deshalb sind sie für uns wie Zeitkapseln, die uns präzise Einblicke in die langfristigen Folgen des Klimawandels geben.“ Die zusammen mit Schweizer Kollegen erzielten Ergebnisse dieser bislang einzigartigen Messreihe in den Alpen-Höhlen wurden kürzlich im renommierten Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht.
Höhlen als Klimaarchive
Besonders Eishöhlen wie die Hundsalm Eis- und Tropfsteinhöhle nördlich von Wörgl erlauben die Identifikation sehr empfindlicher Indikatoren für klimatische Veränderungen. Das in dieser Höhle enthaltene Eis hat sich über Jahrtausende gebildet und dient dadurch als wichtiges Reservoir klimatischer Informationen. Die Temperaturen in Eishöhlen liegen nahe am Gefrierpunkt, sodass schon kleine Änderungen des thermischen Gleichgewichts zum Schmelzen des Eises führen können. In den letzten Jahren haben einige kleinere Höhlen daher ihr Eis bereits vollständig verloren. „Die Messungen zeigen, dass die Erwärmung in den Höhlen nicht gleichmäßig verläuft. Tiefere Abschnitte der Höhlen reagieren langsamer auf die äußeren Veränderungen, während die Bereiche nahe den Eingängen stärker von den jahreszeitlichen Temperaturschwankungen beeinflusst werden. Das ermöglicht ein differenziertes Bild davon, wie sich klimatische Trends auf verschiedene Bereiche eines Höhlensystems auswirken“, erklärt Christoph Spötl. Die Spannagelhöhle im Zillertal ist mit über 12 Kilometern Länge eine der größten Höhlen Österreichs und liegt auf einer Höhe von über 2.500 Metern. Ihre in vielen Abschnitten intensive Durchlüftung machen sie zu einem idealen Standort für die Untersuchung von Temperaturtrends. Die Temperaturmessungen zeigen aber dennoch einen ähnlichen Trend in allen untersuchten Höhlen – auch wenn die klimatischen Bedingungen vor Ort unterschiedlich sind. „Bildlich gesprochen könnte man sagen: Die Höhlen atmen sehr unterschiedlich. Das hängt von ihrer Form, Größe oder der Anzahl der Zugänge ab. Dennoch haben wir bei den in dieser Studie untersuchten Höhlen, die zudem auch noch auf unterschiedlichen Höhenmetern liegen, vergleichbare Erwärmungstrends feststellen können“, so Spötl.
Die autonomen Langzeitmessungen in Höhlen sind das Ergebnis technologischer Fortschritte, die vor 20 bis 25 Jahren durch erstmals erschwingliche und vor allem robuste Messgeräte ermöglicht wurden. Die Logger erfassen die Temperatur mit hoher Genauigkeit, selbst unter den schwierigen Bedingungen in Höhlensystemen. „Ohne diese technologischen Entwicklungen wäre es kaum möglich gewesen, eine derart präzise und kontinuierliche Datenreihe aufzubauen“, erläutert Obleitner.
Zukunftsperspektiven
Die kontinuierliche Erwärmung der Höhlen hat weitreichende Konsequenzen, nicht nur für die Eismassen in den Höhlen, sondern potenziell auch für die Ökosysteme, die sich in diesen abgeschlossenen Umwelten entwickelt haben. Es gibt zahlreiche Arten, von Mikroben bis hin zu Fledermäusen, die an das jeweilige Höhlenklima angepasst sind. Änderungen könnten daher auch Auswirkungen auf diese Lebensformen haben. Die Forschungsarbeit in Höhlen ist aber jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Die Wissenschaftler:innen planen, die Messungen fortzusetzen und weitere Höhlen in ihre Untersuchungen einzubeziehen. „Langzeitstudien wie diese sind unerlässlich, um die Mechanismen hinter den Veränderungen zu verstehen und besser auf zukünftige Entwicklungen vorbereitet zu sein. Für die Alpen insgesamt bieten die Höhlen nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch ein Bewusstsein dafür, wie empfindlich selbst relativ isolierte Systeme auf Veränderungen reagieren. Die Höhlen zeigen uns, dass der Klimawandel mittlerweile auch in Abschnitten weit entfernt von den Eingängen dieser unterirdischen Systeme angekommen ist“, fassen Spötl und Obleitner zusammen.
Publikation: Obleitner, F., Trüssel, M. & Spötl, C. Climate warming detected in caves of the European Alps. Sci Rep 14, 27435 (2024). https://doi.org/10.1038/s41598-024-78658-y
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert erschienen, eine digitale Version des Magazins ist hier zu finden.