Ein rundes Labyrinth

Die Features des digitalen Sozialroutenplans, sollen dabei helfen, individuell und zielgerichtet zu unterstützen.

Ein digi­ta­ler Weg­wei­ser für Not­la­gen

Wer in eine soziale Notlage gerät, braucht Hilfe – allerdings verirren sich Betroffene oft im Labyrinth sozialer Unterstützungsangebote. Mögliche Wege hinaus weist bis dato der „Sozialroutenplan“. Im Rahmen einer partizipativen Forschungskooperation aus Wissenschaft, IT-Branche, Sozialeinrichtungen und Bevölkerung wurde die Borschüre nun unter Leitung von Andreas Exenberger digitalisiert.

Eine alleinerziehende Mutter, die ihren Job verloren hat; ein Jugendlicher, der seine Eltern pflegen muss; eine Frau, die Gewalt in der Partnerschaft erlebt – so unterschiedlich diese Situationen auch sind, die Betroffenen haben eines gemeinsam: Sie befinden sich in einer sozialen Notlage, für die es Hilfe gäbe. „In Westösterreich nehmen mehr als 300.000 Menschen soziale Unterstützungsleistungen in Anspruch“, weiß Andreas Exenberger vom Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte. „Der Zugang zu Hilfsangeboten wird allerdings durch zahlreiche Hürden erschwert. Betroffene finden sich im Irrgarten unseres Sozialsystems oft nicht zurecht.“

Online Hilfe bereitstellen

Auf der Suche nach einer Möglichkeit, diese Hürden aus dem Weg zu schaffen, entstand die Idee, die bestehenden Printversionen des Sozialroutenplans um eine digitale Version zu erweitern. Die Online-Anwendung soll Menschen in Not den Zugang zu Hilfsangeboten erleichtern und damit aktiv zum Abbau sozialer Ungerechtigkeiten beitragen. „Der Sozialroutenplan an sich ist vor 20 Jahren aus einem Projekt zu Frauenarmut des Vereins unicum:mensch entstanden“, so Exenberger. „Es gab immer schon den Gedanke, dass eine digitale Version noch besser wäre, weil man da schneller reagieren und Daten aktualisieren kann“. Eine Forschungsförderung ermöglichte über die vergangenen drei Jahre die praktische Umsetzung dieses Gedankens: In Zusammenarbeit mit vier wissenschaftlichen Einrichtungen, drei IT-Unternehmen und 14 Sozialeinrichtungen aus den drei Bundesländern Tirol, Salzburg und Vorarlberg entstand eine Webapp. Sie unterstützt Nutzer:innen flexibel, niederschwellig und möglichst barrierefrei beim Finden konkreter Hilfsangebote in der Nähe ihres Wohnortes.

„Menschen in Notlage können sich das Angebot auf der Seite des Sozialroutenplans ansehen und werden direkt auf die Webseite einer passenden sozialen Einrichtung, wie z.B. der Caritas, der Lebens- oder Suchthilfe weitergeleitet. Das heißt, sie sollen nicht lang auf der Webseite verweilen, sondern möglichst schnell zu ihrem eigentlichen Ziel gelangen“, erklärt Exenberger, anhand der Webapp auf seinem Smartphone. Er zeigt dort auch, wie Betroffene sich Kontakt- und Standortinformationen einholen und sich über die Leistungen einzelner Anbieter informieren können.

Expertise aus der Bevölkerung

Um herauszufinden, wie die digitale Version des Sozialroutenplans gestaltet sein muss, um tatsächlich von Menschen in Not genutzt zu werden, entwickelten die Forscher:innen einen partizipativen Ansatz. „Das A und O war die dahinterstehende Philosophie des Service Design Thinking, die Eva Fleischer vom MCI beigesteuert hat“, führt Exenberger weiter aus. „Das heißt, dass das digitale Angebot an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert sein muss und deswegen mit ihnen gemeinsam entwickelt wurde.“ Dabei halfen Interviews mit Personen, die Unterstützungsleistungen bei Sozialeinrichtungen in Anspruch nehmen, aber auch die direkte Zusammenarbeit mit Klient:innen der sozialen Arbeit und ausführliche Testläufe in der Praxis. 

Wichtig ist, das Feedback der Teilnehmenden ernst zu nehmen, es einzubinden und unerwarteten Perspektiven offen gegenüber zu treten. „Man lernt mit jedem Forschungsprojekt. Und ich habe diesmal insbesondere gelernt, wie wichtig es ist, die eigenen Vorstellungen im Erhebungsprozess auszuklammern und die Teilnehmenden als Expert:innen in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich wissen sie am besten, wie sich ihre Situation anfühlt“, sagt Exenberger. Die Forscher:innen selbst nehmen dabei eher eine moderierende Rolle ein. „Man muss zum Beispiel versuchen, allen möglichst angemessenen Raum zu geben, also die Leute eher bremsen, die viel beitragen wollen und die Leute, die eher stiller sind, gezielt ermutigen“.

In diesem Prozess wurde in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten IT-Unternehmen schließlich der digitale Wegweiser entwickelt, der so zu einem Gemeinschaftsprodukt aller Beteiligten geworden ist. Nutzer:innen können diesen sowohl am Computer als auch in einer mobilen App aufgerufen. Daneben wird es weiterhin Printversionen des Sozialroutenplans geben. „Es braucht weiterhin unbedingt den persönlichen Kontakt zu Sozialeinrichtungen. Das kann man digital unterstützen, aber nicht ersetzen, und es braucht auch das Haptische, etwas, das man den Leuten in die Hand drücken kann“, begründet Exenberger die Bereitstellung verschiedener Angebote und verweist gleichzeitig auf die Grenzen der Digitalisierung. Schließlich lasse sich nicht alles, was technisch möglich ist, auch praktisch sinnvoll digitalisieren.

Ein Best-Practice-Beispiel

Ab sofort steht der digitale Sozialroutenplan Menschen in Not sowie sozialen Einrichtungen in Tirol, Salzburg und Vorarlberg in einer Betaversion zur Verfügung. „Um den laufenden Betrieb der Webseite zu sichern, haben wir ein bestimmtes Budget vorgesehen. Das beinhaltet insbesondere die Betreuung der dahinterliegenden Datenbank, die von den Sozialeinrichtungen befüllt wird“, erklärt Exenberger. Diese Aufgabe wird der Verein unicum:mensch übernehmen, der bisher die Verantwortung für den gedruckten Sozialroutenplan inne hatte.

Auch eine laufende Analyse der tatsächlichen Anwendung der Webapp durch die Nutzer:innen und Möglichkeiten der Weiterentwicklung sind geplant. „Dabei sind wir natürlich erneut auf das Feedback der Teilnehmenden angewiesen“, gibt Exenberger zu bedenken. „Wenn es gut angenommen wird und eine weitere Förderung in Aussicht ist, würden wir den digitalen Sozialroutenplan gern auf andere Bundesländer ausweiten und neue Funktionen integrieren. Aber das ist noch Zukunftsmusik.“

Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert erschienen, eine digitale Version des Magazins ist hier zu finden.

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